Schlechtschreibung durch Rechtschreibung?!?

Dieser Artikel in der Welt ist mal wieder ein wunderbares Beispiel dafür, wie schlechte Schul- und Lernleistungen durch haarsträubende Erklärungen entschuldigt werden, damit bloß nicht die Eltern oder die Kinder die Schuld an einer Fehlentwicklung tragen. Die Rechtschreibreform soll, auch wenn diese nach dem Inkrafttreten nochmals überarbeitet wurde, schuld daran sein, dass so viele Schüler mit der Rechtschreibung und der Grammatik Probleme haben. Da erkennt dann ein Lernpsychologe ganz klug, dass die neue Rechtschreibung fehleranfälliger sei, nimmt aber gleichzeitig gar nicht wahr, dass die meisten Fehler aber auch nicht der alten Rechtschreibung entsprechen, sondern dass Jugendliche, aber auch Erwachsene immer beliebiger schreiben, weil alles richtig zu sein scheint, was man nur irgendwie versteht.

Warum habe ich in der Grundschule systematisch die Rechtschreibung gelernt, warum haben die meisten meiner damaligen Mitschüler ebenfalls relativ wenige Probleme gehabt? Immerzu werden kuschelpädagogische Lernkonzepte ausgearbeitet, die die Schwächen noch größer werden lassen. Da soll „Freude am Schreiben“ vermittelt werden und so ist am Anfang alles richtig, was die Kinder zu Papier bringen. Und dann müssen die Kinder selbstverständlich gelobt werden, wenn sie zum Geburtstag ein Bild malen, auf dem „Aläs Gunda tsumm Gäbutzdach“ steht, weil die Kinder auf immer und ewig traumatisiert und fürs Schreiben frustriert würden, wenn man sie für ihre Fehler kritisiert. Aller Anfang ist schwer und so gehören eben Fehler am Anfang eines Lernprozesses genauso dazu, schließlich kann man aus Fehlern am besten lernen. Wie soll das geschehen, wenn am Anfang alles ganz toll mit Zucker obendrauf ist. Wenn sie dann genug Spaß am Schreiben haben, weil alles „richtig“ ist, kommen dann plötzlich Regeln dazu und die Kinder sollen plötzlich nicht mehr beliebig formulieren dürfen. Komisch, dass viele es dann offenbar nicht schaffen, den Hebel umzulegen. Aber vielleicht ist das ja auch so gewollt, schließlich sollen ja am besten 100% eines Jahrgangs Abitur machen.

Die Schuld dann auf die Rechtschreibreform zu schieben, finde ich wirklich kläglich. Dass in Foren und Chats fast nur abgekürzt und mit der Rechtschreibung geschlampt wird, leistet sicher auch einen hervorragenden Beitrag. Warum? Warum muss man so nachlässig mit der Schriftsprache umgehen?

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“