Ein überflüssiger Bürgerentscheid

Am 21. April dieses Jahres dürfen wir Würzburger schon wieder einmal ins Wahllokal, um über eine Würzburger Angelegenheit in einem Bürgerentscheid abzustimmen. Der Stadtrat hat den Bürgerentscheid letzte Woche für zulässig erklärt. Zum vierten Mal übrigens. Beim ersten Bürgerentscheid ging es 1997 um die geplante Verlegung des Röntgen-Gymnasiums an die Herieden nach Heidingsfeld, um der FH am Sanderring den benötigten Platz zu verschaffen. Dieses Vorhaben wurde abgelehnt, das Röntgen durfte in seinen altehrwürdigen Räumen bleiben. 2006 wurde dann die mfi am Bahnhof abgegrätscht, weil die geplanten Würzburg-Arcaden verhindert werden mussten, um fadenscheinig den Ringpark, letztendlich aber den Einzelhändlern den Profit zu schützen. 2008 schließlich sollte der FH-Neubau am Sanderheinrichsleitenweg blockiert werden, dieses Vorhaben scheiterte allerdings.

Dieses Mal geht es um das ehemaligen Klostergelände der Benediktiner zwischen der St.-Benedikt-Straße und der unteren Rottendorfer Straße, besser gesagt, um den Platz’schen Garten bzw. die Parkanlage des Klosters. Zugegeben, wenn ich von meinem Balkon bisher auf dieses grüne Fleckchen geschaut hätte, würde es mich jetzt sicherlich auch mehr als wurmen, wenn dort jetzt gebaut würde. Meines Wissens hat aber niemand ein Recht auf die freie Sicht auf einen Garten oder unbebaute Fläche auf dem Nachbargrundstück, schon gar nicht in der Innenstadt, wo die meisten auf Nachbarhäuser schauen. Wenn dort jetzt gebaut wird, ist das eben Pech, gegenüber von uns wird auch gerade gebaut, auch da bekommen Anwohner ein Haus vor die Nase gesetzt, wo bisher ein Garten war. Auf die Idee, dies zu einem Politikum zu machen, käme ich sicherlich nicht. Meine Oma erging es vor über 20 Jahren nicht anders. Von ihrem Balkon hatte sie freie Sicht auf die Festung, weil das Grundstück an der Ecke Riemenschneiderstraße/ Friedrich-Ebert-Ring unbebaut und von großen Kastanienbäumen bewachsen war. Dann hat die Bezirksverwaltung der Berufsgenossenschaft Glas und Keramik dort gebaut, die Sicht war weg und die Nachbarschaft traurig. Verständlich. Ich finde es reichlich anmaßend, dem neuen Grundstückseigner jetzt vorschreiben zu wollen, was dort gebaut oder eben nicht gebaut wird, es sind doch sehr subjektive Gründe, weswegen dagegen von der Nachbarschaft protestiert wird.

Damit es aber scheinbar mehr Leute betrifft, müssen mal wieder – wie beim IKEA-Bau in Würzburg, wie beim Arcaden-Entscheid, wie in der Trautenauer Straße, wie in Stuttgart – fadenscheinig alte Bäume und possierliche kleine Tierchen herhalten, in diesem Fall sind es 53 alte Bäume und Fledermäuse, die in zwei alten Kellern unter dem Areal nisten, von denen wohl die wenigsten gewusst haben.

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Das sind aber nicht die einzigen Argumente, die hier vorgebracht werden, um aus einer Privatangelegenheit eine von vermeintlich öffentlichen Belangen zu machen: Auf der Internetseite der „Interessengemeinschaft Paradiesgarten“ wird den Stadträten vorgeworfen, sie kümmerten sich nicht um die Interessen und das Wohl ihrer Bürger, weil sie mit ihrem Beschluss zugelassen haben, dass in Zukunft die Feinstaub- und Emissionsbelastungen noch größer würden, da diese grüne Lunge verschwinden wird. Dass in 200m Luftlinie das Glacis als grüne Lunge Würzburgs liegt, scheint den Leuten zu entgehen, die hier dem bisschen Garten etwas zu viel Bedeutung andichten. Sie sehen sogar Würzburgs Status als „Weltkulturerbe“ in Gefahr, wenn die Achse Festung – Residenz – Platz’scher Garten zerstört würde. An Selbstbewusstsein mangelt es den Herrschaften ja nicht. In zwei Leserbriefen an die Mainpost wurde Anselm Grün, dem wirtschaftlichen Leiter der Benediktiner in Münsterschwarzach, Gier vorgeworfen, er würde den Anwohnern die grüne Lunge, die greifbare Natur rauben, weil wirtschaftliche Interessen wichtiger seien. Finanzielle Interessen Einzelner stünden hier über der Lebensqualität aller Bürger, heißt es auf der Startseite der IG. Da sich die Benediktiner 2010 aus Würzburg zurückgezogen haben, ist das Anselm Grüns gutes Recht, als wirtschaftlicher Leiter ist es wahrscheinlich sogar seine Pflicht, dieses Gelände zu veräußern. Würde er so handeln, wie die BI fordert, er – oder eben der neue Besitzer – müsste die Parkanlage erhalten und allen (!) Würzburger Bürgern öffnen – wahrscheinlich um deren Lebensqualität zu sichern. Wie nett von denen… So bekommt das Ganze dann auch wieder Relevanz für alle. Auch hier scheinen die Unterstützer zu vergessen, dass man im Ringpark sehr viel schöner entspannen und spazieren gehen kann als in der recht übersichtlichen Parkanlage. Sehr interessant, wie hier versucht wird, „die Würzburger“ vor den eigenen Karren zu spannen, um kein Wohnhaus vor die Nase gebaut zu bekommen. Sogar die 170 gefällten Bäume in der Trautenauer Straße finden Erwähnung, als es um die Luftqualität und die Ersatzanpflanzungen geht.

Darüber hinaus spielt die IG weitere Karten, um Emotionen zu wecken: das Denkmal für die deportierten Würzburger Juden solle auf das Gelände verlegt werden, um bessere Führungen auf dem Erinnerungsweg zur Aumühle anbieten zu können. Man sorgt sich darüber hinaus um die Rettungsfahrzeuge, die durch die Rottendorfer Straße fahren und nicht durchkommen, und um die armen Studenten, die keine Wohnung finden, da hier ja nur Eigentumswohnungen entstünden. Und natürlich geht es um die Feinstaubbelastung, die durch den Trichtereffekt noch steigen würde. Ausgerechnet an dieser Stelle, ein paar Meter weiter stadtauswärts stehen ebenfalls Häuser direkt an der Straße. Die Argumente sind in meinen Augen schon ein wenig fadenscheinig und schwach. In der nahen Sartoriusstraße kennen die Anwohner nichts anderes.

Dem neue Eigentümer, der Schweinfurter Riedel Bau, soll also per Bürgerentscheid untersagt werden zu bauen. 5000 Unterschriften hat die Interessengemeinschaft gesammelt, am 21. April wird also abgestimmt, gut 100000 Euro kostet das die Stadt. Vielleicht sind auch das öffentliche Interessen. Was interessiert es Sanderauer, Zellerauer, Grombühler, Heidingsfelder oder uns im oberen Frauenland, was am Platz’schen Garten gebaut wird? Es ist wirklich kühn, hier für „die Würzburger“ zu sprechen. Mir ist das nämlich, ganz ehrlich, sch… schön egal, was und wie dort gebaut wird. In unserer Ecke sind auch mehrere „Wohnanlagen“ gebaut worden, der Verkehr ist nicht mehr geworden, auch damit wird ja argumentiert, schließlich werden die 150 Fahrzeuge in der Tiefgarage auch bewegt.

Interessant finde ich, dass die Interessengemeinschaft offenbar heillos zerstritten ist und einzelne – und zwar federführende – Mitglieder ihre Zwistigkeiten über die Zeitung austragen. Die Einzelheiten sind mir egal, ich hoffe nur, dass dieses Wutbürgergehabe keinen Erfolg hat. Die Interessen von wenigen werden aufgeblasen und künstlich zu Interessen von vielen gemacht, damit der Eindruck entsteht, Volkes Stimme müsse entscheiden. Ich bin gespannt, was am 21. April passiert.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

6 Kommentare

  1. Selbst wenn Anselm Grün dort seine Bücher zehn Meter hoch stapeln will, weil er sie nicht mehr los wird, dann ist mir der Ausgang von dem Bürgerentscheid egal. Ich werde garantiert NICHT zur Abstimmung gehen, weil mir dafür jede Minute zu schade ist.

  2. Hab ich das richtig verstanden? Man kommt da gar nicht „öffentlich“ rein.
    Finde das auch schön, dass einer der Sprecher aus Werneck kommt.

  3. Alter.
    100 000 Euro?

    Die Stadt hat keinen Cent mehr, den sie in vernünftige Dinge stecken kann und dann so was.

    Wo kann ich die Initiatoren wegen Verschwendung öffentlicher Gelder verklagen?

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