Blogpakt hin oder her, ich habe erst einmal überlegen müssen, ob ich zu dem Thema was blogge, aber es brennt mir förmlich unter den Fingernägeln, weil diese Pseudo-Empörungswellen gegen Einzelpersonen immer öfter durchs Land schwappen, um diese möglichst nachhaltig zu beschädigen. Mitglieder der FDP scheinen davon derzeit besonders gerne betroffen zu sein. Und wer meinen Blogs kennt, weiß, dass ich nicht jeden FDP-Politiker mögen muss.
Kaum war Rainer Brüderle zum Spitzenkandidaten der FDP für die Bundestagswahl gekürt worden, machte eine Geschichte die Runde, die landauf und landab eine Pseudo-Empörungswelle losgetreten hat, weil Rainer Brüderle plötzlich für eine Sexismus-Debatte herhalten musste, die sich wohl nicht einmal die Stern-Reporterin so ausgemalt hätte. Nicht in diesem Ausmaß jedenfalls. Sie hat in erster Linie mal einen Politiker vom alten Schlag portraitiert, Brüderles Flirtversuch scheint ihr nicht besonders gefallen zu haben. Zu sehr verfällt sie in die indirekte Rede. Das Dreikönigstreffen 2012 ist lange vorbei, dass sie die Geschichte kurz nach dem Treffen 2013 auf den Tisch brachte, kurz nach Brüderles Kür zum Spitzenkandidaten, hat einen faden Beigeschmack. Ganz taufrisch ist der Rainer Brüderle ja in der Tat nicht mehr, dementsprechend ist er auch ein bisschen altmodisch. Und auch das hat die Frau Himmelreich halt auch beschrieben: In einer Hotelbar hat er ihr ein paar Komplimente gemacht und mit Blick auf ihr Dekollete und festgestellt, dass ihr auch ein Dirndl auf der Wiesn gut stehen könnte, nachdem sie auf München zu sprechen gekommen waren. Er hätte, und das fand ich besonders schön, noch Platz für sie auf seiner Tanzkarte gehabt. Ganz ehrlich, das musste ich selbst erst einmal ergoogeln, was eine Tanzkarte ist. Dann fand ich das wirklich fast schon drollig, aber nur so lange, ehe mir wieder diese alberne Debatte eingefallen ist, die durch diesen Bericht ausgelöst wurde. Durch diesen Bericht! Plötzlich war der mehr oder weniger missglückte Flirtversuch eines älteren, etwas angetrunkenen Herren sexuelle Belästigung und auf Twitter, diesem gehaltvollen Medium, wussten plötzlich ganz viele, dass sie schon Opfer der Männer waren. Zwischen sexueller Belästigung und plumpen Flirtversuchen wurde nicht mehr unterschieden, wichtig waren der Hashtag #aufschrei und 140 Zeichen geballte Information. Irgendeine blonde Feministin hatte das vom Zaun gebrochen. Rainer Brüderle konnte und kann einem echt leid tun, dass er wegen dieser Geschichte als Sexist gebrandmarkt werden sollte, es kam ja auch so gelegen, dieser Bericht, der Brüderle angeblich so ganz und gar nicht ans Bein pinkeln wollte.
Kaum war Brüderles vermeintlicher Skandal medial restlos ausgeschlachtet, musste sich Jörg-Uwe Hahn (FDP), der hessische Minister für Justiz, Integration und Europa, mit dem Vorwurf auseinandersetzen, er sei ein Rassist. Alltagsrassismus nannte man das, natürlich empört, um jeden von uns mit dem schlechten Gewissen zu konfrontieren. Warum? Er hatte im Interview mit der Frankfurter Neuen Presse gewagt, etwas auszusprechen, was vielleicht manchen so nicht passte. Herr Hahn hatte die Frage in den Raum geworfen, ob ein asiatisch aussehender Vize-Kanzler als FDP-Vorsitzender in der Gesellschaft noch nicht vermittelbar ist. Laut Spiegel-Bericht verwirrte Hahn mit diesen Aussagen. Wen? Die üblichen Verdächtigen in solchen Fällen, die Vertreter der Oppositionsparteien, bei denen Empörung zum politischen Alltag gehört: Herr Steinmeier musste sich empören, Tarek Al-Wazir fand es gleich völlig inakzeptabel, ein anderer unerträglich, auch andere SPD- und Grünen-Politiker sahen sich genötigt, einen Skandal zu inszenieren und mit der Rassismuskeule – „Rassismus in Reinkultur“ (Riexinger, Die Linke) – wild um sich zu schlagen. Erst als Philipp Rösler selbst Herrn Hahn beistimmte und klargestellt hat, dass er Hahn verstehe und er selbst sich fast täglich irgendwelche Sprüche anhören müsste, verstummte diese scheinheilige und absurde Empörung ebenso schnell wieder, die die FDP im Wahljahr noch unwählbarer machen sollte. Ist das Oppositionspolitik? Menschen Aussagen im Mund rumdrehen, um ihnen daraus dann wiederum einen Strick zu drehen? Am besten, wenn man nur Wortschnipsel auf Twitter oder sonstwo aufgefangen hat und nicht mal das eigentlich Interview kennt. Sind sich die immergleichen Empörer_Innen nicht langsam selbst zu schade, ständig irgendwelche künstlichen Skandale loszutreten, die keine sind? Mir liegt die FDP jetzt nicht persönlich am Herzen, aber die Art und Weise, wie hier fast nur noch auf persönlicher Ebene Menschen niedergemacht werden sollen, ist schäbig. Und heuchlerisch.
Erst Sexismus, dann Rassismus. Jetzt fehlt eigentlich nur noch ein Liberaler, der ein süßes schielendes Karnickel ohne Öhrchen, aber mit flauschigem Fell und Knopfaugen, aus Versehen tottritt wie einst der Kameramann im Chemnitzer Tiergarten. Eine Tierquäler-Debatte hatten wir schließlich noch nicht. Und „aus Versehen“ macht man doch ganz schnell zu „absichtlich“ .
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