Soll ich? Oder soll ich nicht?

wahlberechtigungIch bin eigentlich ein überzeugter Wähler und gehe immer zur Wahl, weil ich der festen Überzeugung bin, dass ich nur dann das Recht habe, mich zu beschweren, wenn ich daran teilgenommen habe und somit meine demokratische Pflicht wahrgenommen habe. Auch an den Bürgerentscheiden in Würzburg habe ich stets teilgenommen, weil das wichtige Fragen der Stadtentwicklung waren. Vor einigen Wochen aber lag die rosa Abstimmungsberechtigung zum Bürgerentscheid „Kein ‚Wohngebiet Platz’scher Garten“ im Briefkasten, seitdem ringe ich mit mir, ob ich überhaupt hingehe. Dass ich das Anliegen des Bürgerentscheids ablehne, steht außer Frage, wie überflüssig ich den Bürgerentscheid und wie lächerlich ich die Argumente der Bürgerinitiative finde, habe ich bereits im Februar ausführlich gebloggt.

Die Bürgerinitiative hat nun kurz vor Ostern die ganze Stadt mit ihren Plakaten zugepflastert, die „Argumente“ darauf, warum man am kommenden Sonntag mit Ja stimmen sollte, setzen aber manchem Stuss auf deren Internetauftritt noch die Krone auf:

Platzscher Garten Plakat

Das kleine Gartenareal als „Grüne Lunge“ in der dicht bebauten Innenstadt zu bezeichnen, ist schon beinahe Volksverdummung. Keine 200 Meter Luftlinie entfernt ist der Ringpark. Durch eine Randbebauung verändert sich sicher auch kein Klima und die Talkessellage Würzburgs wird sich auch dann nicht ändern, wenn zwischen Benediktstraße und Rottendorfer Straße wieder ein Urwald gewachsen ist. Auch an der Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren wird eine neue Wohnanlage wenig ändern und der Sauerstoff, den die paar Bäume im Benediktpark produzieren ist für unsere und zukünftige Generationen sicher nicht messbar, weil der Sauerstoff aus dem Ringpark ständig rüberschwappt.

Aber schön, dass auf dem Plakat auch steht, dass die Lebensqualität vieler Bürger Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen Weniger haben soll. In meinen Augen ist es nämlich eher so, dass die Lebensqualität Weniger Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen anderer hat. Wie ich im Februar schon geschrieben habe, scheint es mir so, als ob es hier vor allem unmittelbaren Anwohnern darum geht, vor der eigenen Nase eben kein neues Gebäude entstehen zu lassen, weil der Blick auf ein unbebautes Fleckchen Erde verständlicherweise schöner ist als die Wand eines Neubaus. In meinen Augen ist es allerdings eine Sauerei, aus diesem Nicht-Rechtsanspruch auf freie Sicht eine Angelegenheit zu machen, die scheinbar das Allgemeinwohl einer ganzen Stadt bzw. eines Stadtteils zu machen und hier mit Pseudo-Nachhaltigkeitsargumenten zu hantieren. Als ob der Nachhaltigkeitsgedanke heutzutage nicht schon genug strapaziert würde. Dass es um Privatgrund geht, der nie öffentlicher Park war und nie öffentlicher Park werden wird, wie einem immer wieder weisgemacht wird, sei mal dahingestellt. Träumen darf man ja, das ist gerade auf Wahlplakaten nicht unüblich. Aber wie Fakten zugunsten der Bürgerinitiative verdreht „berichtigt“ werden, sieht man in den Kommentaren dieses Mainpost-Artikel recht schön.

Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich am Sonntag nun wirklich zur Abstimmung gehen soll oder das ganze Affentheater einfach boykottiere, um auf diese Weise dazu beizutragen, dass das notwendige Quorum nicht erreicht wird. Mir persönlich käme es nämlich als deutlicheres Signal vor, wenn es einfach zu viele nicht interessiert und die paar Befürworter mit ihren Ja-Stimmen alleine dastehen und am Ende eben gebaut wird. Es kann nicht sein, dass ein gutes demokratisches Instrument wie der Bürgerentscheid immer wieder für solche Privatintertessen instrumentalisiert und somit missbraucht wird. Genau das passiert nämlich meiner Meinung nach. Und wenn das Desinteresse am Privatinteresse mehr als deutlich wird, stimmen wir vielleicht nicht übermorgen darüber, dass Lieschen Müllers Nachbarin auf der Frankenwarte überübermorgen einen zweistöckigen Geräteschuppen auf ihrem Garagengrundstück baut, weil der früher mal naturbelassen war und vom Aussterben bedrohte Regenwürmer in ihrer Existenz bedroht werden, weil die beim Bau zerstörten Büsche nicht mehr den nötigen Sauerstoff liefern.

Einen großartigen Blogbeitrag zum Thema hat Julia im lp 10 verfasst. Ergebnisse der Auszählung kann man ab Sonntagabend, 18.00 Uhr, hier einsehen.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

4 Kommentare

  1. Bitte geh‘ wählen!
    Deine Überlegung halte ich für sehr gefährlich. Die Wirrköpfe haben es immerhin geschafft, dass es überhaupt zum Bürgerentscheid kommt. Außerdem haben sie in den letzten Wochen auch sehr aggressiv in der Innenstadt geworben.
    Außerdem ist Deine Überlegung falsch. Bei dem Quorum handelt es sich um ein Abstimmungsquorum, nicht um ein Beteiligungsquorum. (vgl. Art. 18a XII GO: „Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinn entschieden, in dem sie von der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit (…) mindestens 10 v.H. der Stimmberechtigten beträgt.“). 10% der Stimmberechtigten müssen mit „Ja“ stimmen (das Quorum wäre zB nicht erreicht, wenn 8% mit Ja und 3% mit Nein stimmen, obwohl mehr als 10% der Stimmberechtigten teilgenommen haben).
    Ich hoffe darauf, dass das Quorum nicht erreicht wird und dass zusätzlich eine deutliche Mehrheit der Würzburger zeigt, dass die zumeist schweigende, jedenfalls nicht krakelende Majorität nicht der Meinung der individualgesteuerten Besitzstandwahrer und Fortschrittsverhinderer ist.

  2. [Als Spam markiert von Antispam Bee | Spamgrund: CSS Hack]
    Folgt man dem demokratischen Mehrheitsprinzip , können Quoren das Abstimmungsergebnis verzerren und sogar ins Gegenteil umkehren, indem logisch betrachtet Enthaltungen als Gegenstimmen gewertet werden. Durch Quoren wird unterstellt, dass Bürger, die sich enthalten haben, in der Abstimmung mit Nein gestimmt hätten, wenn sie teilgenommen hätten. Dies wird vor allem als Bevormundung der Bürger kritisiert, denen man ein Abstimmungsverhalten unterstelle, das nicht den Tatsachen entspräche. Wer sich enthalte, verhalte sich neutral und überlasse die Entscheidung den Bürgern, die sich an der Abstimmung beteiligen. Dessen Stimme sei daher nicht den Nein- oder Ja-Stimmen zuzuschlagen. Es handele sich also darüber hinaus um einen Verstoß gegen die Gesetze der Logik , nach denen die drei Antwortmöglichkeiten auf eine Frage (positiv, negativ, neutral, bzw. Ja, Nein, Enthaltung) strikt getrennt werden müssen.

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