Die -ismus-Psychosen im Twitter-Zeitalter

Der neue Tugendterror“ wird es Thilo Sarrazin in seinem im Februar erscheinenden Buch nennen, und dabei die Grenzen der Meinungsfreiheit beleuchten. Es geht dabei um die Meinungsfreiheit von Menschen, die stets auf dieser beharren und ihre Aussagen davon geschützt sehen wollen. Es geht aber um die gleichen Menschen, die genau diese Meinungsfreiheit anderen absprechen, wenn sie Meinungen äußern, die ihnen nicht genehm sind. Reaktion sind dann meistens in Mode gekommene „Shitstorm“-Attacken auf die, die etwas getan haben, das der eigenen Tugend- oder Meinungswelt nicht entspricht. Alltagsrassismus, ein tolles Schlagwort, das in den letzten Monaten durch soziale Netzwerke geistert. Eine Wortschöpfung, die uns suggerieren soll, dass wir im Jahr 2013 schlimmer denn je sind, und Rassismus in unserem Alltag hinter jeder Hecke und über jedem Schnitzel lauern kann. Wenn Fünftklässler „Gymnasium“ falsch schreiben, aber „Inuit“ fehlerfrei aussprechen und ihren Lehrer verbessern, „Eskimo“ sei verboten, weil das rassistisch wäre, kann ich da ja noch drüber schmunzeln, was ich über das zwanghafte Ausmerzen des Wortes „Neger“ denke, habe ich hier ja schon mehrfach kundgetan. Vor dem sprachlichen Großreinemachen waren weder Astrid Lindgren noch Ottfried Preußler sicher.

Rassismus ist eine widerliche Geisteshaltung, der Duden definiert diesen als „meist ideologisch begründete, zur Rechtfertigung von Diskriminierung […] entwickelte“ (Fremdwörter, 9. Auflage) „Lehre, […], nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen.“ (DUW, 2007). Inzwischen wird das aber weiter gefasst und jeder Bezug auf die Herkunft oder die Haarfarbe, beleidigend oder nicht, wird als Rassismus eingestuft und entsprechend geächtet (vgl. Das Krippenspiel-Dilemma):

Mitten im Bundestagswahlkampf im letzten Herbst war aus Hannover plötzlich zu hören, wie schlimm rassistisch es sei, dass es immer noch „Zigeunersoße“ und „Zigeunerschnitzel“ in Kantinen, Wirtshäusern und Supermarktregalen gäbe. Einem Verein von politisch korrekten Sinti und Roma war aufgefallen, dass sie momentan kein größeres Problem haben. Und weil Empörung ein beliebtes politisches Stilmittel ist, finden sich natürlich auch immer ein paar Berufsbetroffene, die ganz stark mit den ehemaligen Zigeunern leiden, deren Anliegen verstehen und umgehend in die Tat umsetzen wollen. Gesagt, getan, seit kurzem gibt es in Hannovers Stadtkantine und in den rot-grünen Ministerien der Landesregierung politisch (fast) völlig unbedenkliches Ungarn- oder Balkanschnitzel, denn der Balkan ist schließlich groß und bekanntlich ein Pulverfass. Im niedersächsischen Sozialministerium war ein gewitzter Koch am Werk, der hat nämlich „Schnitzel mit dem verbotenen Namen“ angeboten und damit wiederum eine vorübergehende Schnappatmung bei einigen Mitarbeitern ausgelöst, da das natürlich unsensibel sei. Alan Posener fragte in der Welt ironisch, ob „eine ‚Sinti-und-Roma-Sauce‘ denn wirklich besser“ wäre. Immerhin weigern sich die Hersteller von „Zigeunersoße“, sich diesem einfach nur albernen Vorstoß zu beugen.

Ein fieser Höhepunkt der Rassismus-Empörung war im Dezember die Posse um schwarz angemalte Menschen bei „Wetten dass“ aus Augsburg. Um die Stadtwette zu gewinnen, rief Markus Lanz die Augsburger auf, passend zur Puppenkiste als Jim Knopf und Lokomotivführer Lukas zu kommen. Dieselbe Dame, die mit #aufschrei allüberall auf den Tannenspitzen sexistische Männer sitzen sah, witterte offenbar ihre Chance, den nächsten Twitter-Shitstorm loszutreten und schon stürzten sich ganz viele Menschen ganz brav auf Markus Lanz. Als #blackfacing brandmarkten sie eine harmlose Maskerade, kein einziger Schwarzer wurde dadurch herabgewürdigt. Man muss schon fast Boshaftigkeit unterstellen, hier Rassismus zu wittern; vor allem, wenn man dann noch von „Blackfacing“ spricht. Ich kannte diesen Begriff vorher nicht, damit ist allerdings eine Theatermaskerade aus den USA gemeint, die vor allem dazu diente, Schwarze bewusst zu veralbern. Irgendwer hat diesen Begriff wohl mal aufgeschnappt und nun (t)wittern zu viele Menschen bei jedem angemalten Weißen einen bösen Rassisten, um diesen zu bekämpfen. Die Definitionshoheit, was „Rassismus“ und „Blackfacing“ zu bedeuten haben, liegt natürlich bei den Anklägern, die Spaß am Skandalisieren zu haben scheinen. Über die digitalen Besserwisser habe ich ja im Juni geschrieben, in diesem Blog kommentiert Aranita sehr treffend den Empörungsterror.

Kurz zuvor hatte bereits die UNO (!) die kleinen schwarzen Helfer des Nikolaus als rassistisch gebrandmarkt und forderte die Abschaffung des niederländischen Brauchs, dass als Schwarze verkleidete Kinder „Sinterklaas“ begleiten. Die „zwarte Pieten“ verteilen Geschenke. Mehr nicht. Regierungschef Mark Rutte sagte, der Schwarze Peter sei nun einmal schwarz, daran könne er nichts ändern. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ganz aktuell haben sich empörte Supermarktkunden – natürlich „im Netz“ – über Rassismus  ausgelassen: Haribo hat in Skandinavien einen „Skipper Mix“ auf den Markt gebracht. Was ein Seemann auf Reisen eben so sehen könnte, war in dieser Tüte zu finden. Ganz harmlos, ohne bösen Hintergedanken, zumindest für normale Menschen. Aber weil darin afrikanische, asiatische und indianische Masken aus Lakritze zu finden waren (mit Bild), beschwerten sich „Kunden“ darüber und Haribo sah sich genötigt, das Produkt vom Markt zu nehmen. In Zukunft werden sie wohl ganz genau aufpassen, welche Formen sie für Lakritze verwenden.

Aber wenn heutzutage sogar darüber diskutiert wird, ob das Sankt-Martins-Fest diskriminierend sein könnte und besser „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ heißen sollte, ist es nicht weit, hinter jedem Baum einen Rassisten zu wittern. Wenn man das will, schafft man das, sei es noch so konstruiert. Durch den inflationären Gebrauch des Wortes wird aber leider der Blick auf tatsächlichen Rassismus getrübt. Gleiches gilt für einen anderen -ismus, der 2014 hinter jeder Ecke zu lauern scheint. Seit dem Theater der #aufschrei-Tanten um Rainer Brüderle ist ja Sexismus in unserer Gesellschaft offenbar auch allgegenwärtig und muss ständig bekämpft werden. Und sei es laut kreischend mit nackten beschmierten Tittchen auf dem Altar des Kölner Doms.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

Ein Kommentar

Kommentare sind geschlossen.