Die Sorgen des Herrn Jüstel

Noch bevor sich der neugewählte Stadtrat nächsten Freitag konstituiert, musste der amtierende bzw. wiedergewählte Stadtrat Heinrich Jüstel (SPD) im Rathaus sein ganz persönliches Zeichen setzen, seine Sorgen möchte sicher manchereiner haben, dann ginge es ihm hervorragend: Als bekennender Atheist – so steht es in der Main-Post zu lesen – wollte Herr Jüstel im Stadtrat erreichen, dass das Glasfenster in der Aussegnungshalle am Hauptfriedhof geschmackvoll zugehängt wird, um so den knapp 25% Würzburgern Rechnung zu tragen, die nicht katholisch, evangelisch oder so wie christlich sind, sondern konfessionslos sind oder irgendeiner anderen Religion angehören. Dieses Glasfenster zeigt nämlich den gekreuzigten Jesus.

Interessant ist es, dass Herr Jüstel darin ein besonderes Signal sehen will, Würzburg zeige so nämlich „Toleranz, Weltläufigkeit und Aufgeschlossenheit“. Immerhin 77,8% der Würzburger gehören einer der beiden christlichen Konfessionen an, aber Herr Jüstel verlangt der großen Mehrheit das ab, was er selbst offenbar nicht aufbringen kann. Er erhebt eben, wie so oft heutzutage, den Anspruch, dass einer Minderheit ein Recht zugestanden werden soll, das diese meistens noch nicht einmal fordert. Wie so oft gibt es aber in solchen Angelegenheiten gerne einen selbsternannten und wortgewandten Wortführer dieser gefühlten Mehrheit, der wiederum diese Rechte einfordert, um irgendein Zeichen zu setzen, das gut klingt. 2012 brach Ex-OB Georg Rosenthal (SPD) mit der Tradition, dass der Würzburger Bischof beim Neujahrsempfang der Stadt Würzburg eine Rede hält, begründet wurde das damals ähnlich. Heute hat die Diözese Würzburg ihren eigenen Neujahrsempfang mit weitaus interessanteren Rednern als die auf Ausgleich bedachte Stadt.

Zudem sei hier die Frage erlaubt, was denn ein „bekennender Atheist“ überhaupt ist. Die meisten Menschen dürften doch einfach nur Religionslose sein, denen der Glaube an Gott scheißegal völlig egal ist. Atheisten sind das nicht. Ein Atheist im eigentlichen Sinne, jemand, der krampfhaft versucht, die Nichtexistenz eines Gottes zu begründen, scheitert doch wie all seine philosophischen Vordenker an der Tatsache, dass es keinem der klugen Herren (Feuerbach, Marx, Nietzsche, Sartre, …) je gelungen ist, die Nichtexistenz zu beweisen. Dass es Gott gibt, hat freilich auch noch keiner bewiesen, aber daher ist das ja Glaubenssache. Wie der Atheismus selbst ja auch. Die Damen und Herren „glauben“ ja genauso fest an die Nichtexistenz Gottes wie die Christen an dessen Existenz. Nur sind Christen meist nicht so penetrant darin, ihren Mitmenschen ihren „Glauben“ aufs Auge zu drücken. Nur mal angenommen, der Fall wäre andersrum, ein bekennender Christ würde im Stadtrat ein Recht für seine Konfession durchdrücken wollen: Herr Jüstel bekäme wahrscheinlich akute Schnappatmung.

Was will er erreichen? Dass das Fenster, durch das wirklich schönes Licht in die dunkel gehaltene Aussegnungshalle fällt, zugehängt wird? Komischer Gedanke. Ich habe während meines Studiums längere Zeit am Friedhof gearbeitet und war bei unzähligen Beerdigungen dabei. In all der Zeit hat keiner der Anwesenden ernsthaft Schaden genommen, wenn der gekreuzigte Jesus auf sie geschaut hat. Angehörige dürften, selbst wenn sie religionslos sind, andere Sorgen haben. Und wie hat Herr Felgenhauer so schön gesagt: „Es muss doch niemand das Kreuz anschauen, der das nicht will.“ Und wenn Herr Jüstel derweil auf Fulda schaut, weil dort eine zweite, neutrale Halle gebaut worden ist. Er darf sie sicher gerne bauen, wenn er die notwendigen Gelder dafür zur Verfügung stellt. Das Kreuz ist in unserer Kultur ein allseits anerkanntes Symbol für den Tod. Dass Christen in diesem Todessymbol auch ein Symbol für Jesu Sieg über den Tod sehen, ist wiederum unsere Glaubenssache, aber sich daran festzubeißen, dass dieses Glasfenster nicht alle Würzburger repräsentiert? Dieses krampfhaft laizistische Denken heutzutage geht mir persönlich wirklich gehörig auf den Sack. Am besten sollen christliche Symbole wohl überall weichen, damit sich Herr Jüstel und auch kein anderer bekennender Atheist in seinen nichtreligiösen Gefühlen verletzt sehen kann.

Der Stadtrat hat den Antrag Jüstels zwar abgelehnt, 14 Stadträte (SPD, Grüne, Linke) waren aber immerhin doch dafür, eine konfessionsneutrale Gestaltung zu prüfen. Bezeichnenderweise sind das ja die Parteien, die immer am lautesten nach der in ihrem Sinne verstandenen „Toleranz“ schreien, diese aber dem Christentum gegenüber gerne vergessen oder anders interpretieren.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

2 Kommentare

  1. Ich muss dir ganz leise widersprechen. Ich kenne durchaus praktizierende Christen, die die Sache mit dem Glauben sehr ernst nehmen und bis zum sprechen eines sehr direkten Machtworts immer mal wieder mehr oder weniger subtil versucht haben mich, als bekennenden Taufschein- und U-Boot-Christen, dazu zu bringen ihre Sicht der Dinge zu teilen, was so weit ging, dass man mich sogar ins Gebet mit einschließen wollte. Und das waren keine Sektenanhänger sondern das was man landläufig als „Protestant“ kennt.

    In der Kombination „Jesus -Kreuz – andere Kultur“ muss ich schmunzelnd immer wieder an (ich glaube es war) Almanya denken, als die Kinder frisch aus der Türkei das erste Mal damit konfrontiert werden, dass die komischen Deutschen einen anbeten der barbarisch ans Kreuz geschlagen wurde.

    Letztlich sind solche Sachen wahrscheinlich immer sonstwie getriebene Profilierungsversuche. 90 % der Leute, die es betrifft, interessiert es nicht oder sie lachen sogar drüber.

  2. Oh, zumindest von Evangelikalen wurde ich auch schon in dieser Weise belästigt und habe das auch als Belästigung empfunden. Als Profilierungsversuch von Herrn Jüstel sehe ich das auch.

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