Der Gutmensch, das Ununwort des Jahres

Heute ist Aschermittwoch, Fastenzeitbeginn und Zeit, um mal wieder etwas derber vom Leder zu ziehen, wenn der politische linke Schuh drückt.

Viel Herz, wenig Plan. Kurz und knapp formuliert kürten kürzlich Gutmenschen das Wort „Gutmensch“ zum Unwort des Jahres, um fortan jeden, der dieses per Dekret und offiziellem Juryentscheid zum Tabu erklärte Wort trotzdem verwendet, entsprechend ächten zu können. Zur Begründung zimmerte man sich mühsam eine Erklärung zusammen, die jeden, der es trotzdem verwendet, in ein noch schlechteres Licht rücken soll. Schließlich hätten die im Gegenzug ganz schlagfertig „Schlechtmenschen“ genannten bösen Menschen, die das Wort die ganze Zeit abfällig verwenden, „gute Menschen“, die Flüchtlingen ehrenamtlich helfen, mit diesem Unwort verspottet und deren Eifer somit in den Dreck gezogen. Zu allem Überfluss wurde das neue Unwort, 2011 knapp gescheitert, noch in die rechte Ecke gerückt, um es auch wirklich ein für alle Male von der politisch korrekten Bildfläche verschwinden zu lassen. „Gutmensch“ jetzt zum Unwort zu erklären, ist schon ein bisschen lächerlich, da dieses so wundervoll ironisch-sarkastische Wort eben genau ins Gegenteil verkehrt, was Gutmenschen zu glauben scheinen, besonders „gute Menschen“.

Ich verwende das Wort gerne, gerade in meinen seltener gewordenen Blogeinträgen habe ich mich immer wieder denen gewidmet, die sich als „Gutmenschen“ gebaren und sich zu besonders „guten Menschen“ erklären, um sich von besagten „Schlechtmenschen“ abzuheben und über sie zu erheben. Ich werde es auch zukünftig verwenden, eben weil ich es treffend finde: Gutmenschen brüsten sich gerne mit ihrem Gut-Sein, machen schön klingende Vorschläge, die dann viele andere toll finden können, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, Gutmenschen versuchen sich gerne auf einen moralisch höheren Standort zu heben, um von dort auf die herabzuschauen, die nicht so sind wie sie selbst, und auch nicht so sein wollen wie sie selbst. Die von mir wenig geschätzten Grünen sind eigentlich das Beispiel schlechthin, wie Gutmenschen ticken. Reden, Fordern, Empören, alles immer schön theoretisch und selten praktisch. Andere Menschen im eigenen Sinne umerziehen, die eigene Ideologie ohne Rücksicht auf Verluste überhöhen. Einfach mal eine Strafabgabe oder ein Mehrwegsystem für Pappbecher fordern, schon jubeln die Hardcore-Ökos, ohne auch nur eine Spur von Realitätsnähe zu zeigen.

Aber mal etwas konkreter: Ein stereotypes Ritual von Gutmenschen ist es, andere sofort als Nazi oder wenigstens Rechtspopulist zu bezeichnen, wenn es um Ausländer und Probleme bei der Integration geht. Dieses Allheilmittel gegen ungeliebte Meinungen und Themen praktizieren Menschen wie Claudia Roth schon seit vielen Jahren, aktuell wird jede kritische Meinung bezüglich der Flüchtlingskrise als Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit gegeißelt – die CSU darf sich das seit Monaten anhören, wenn es darum geht, die Flüchtlingskrise in den Griff zu kriegen. Dumm nur: Dieses Ritual verharmlost die, die wirklich rechts oder Nazis sind und dämonisiert kritische Meinungen, die nicht zu Unrecht geäußert worden sind, wie die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition in letzter Zeit zeigt. Nicht wenige zunächst barsch zurückgewiesene Forderungen der CSU wurden dann, natürlich mit schöner klingendem Namen, verabschiedet.

Das Beispiel „Freiwild“ habe ich hier schon zweimal angesprochen: Der völlig gefahrlose Pseudo-Nazi-Widerstand gegen eine Deutschrock-Band aus Südtirol ist inzwischen ebenfalls zum Ritual geworden, wo immer die Band auftritt. Ein bisschen Wortklauberei in den aktuellen Texten, hilfloses Herumstochern in der Vergangenheit des Sängers und eigene Probleme mit dem Heimatbegriff der Südtiroler, fertig ist das Feindbild vom deutschnationalen Liedgut, das zumindest von Rechten gehört werden könnte. Könnte. Offene Briefe von Grünen, Boykottaufrufe und Absageforderungen an die Veranstalter, die Geld verdienen wollen. Viel Lärm um nichts, aber unser Gutmensch hat es ja wenigstens gut gemeint und versucht, Nazis zu bekämpfen. Blöd nur, wenn die nicht da sind.

Ein gutes Beispiel bot auch Anke Domscheit-Berg in der Sendung von Anne Will am 31.1.16: Sie selbst lehnte Pauschalisierungen im Laufe der Diskussion empört ab, um selbst umso mehr zu pauschalisieren, wenn es darum ging, den bösen „weißen Mann“ zu belasten, der viel schlimmer zu sein scheint als jeder Widerling vom Kölner Hauptbahnhof. Wenn es ins eigene Weltbild passt, ist alles erlaubt: „Alte weiße Männer“ dürfen pauschal beschimpft und beschuldigt werden, „junge schwarze Männer“ niemals. Dann aber haute sie einen Spruch, der wunderbar in ihren Twitteraccount passen dürfte und auch auf Facebook seine heiß begehrten Likes finden dürfte: „Es kommen nicht eine Million Probleme, es komme eine Million Lösungen.“ Es klingt wunderbar, es ist vor allem unverfänglich und wer ihr zustimmt, steht auf jeden Fall ein paar Etagen über Wolfgang Bosbach, der auch in der Sendung zu Gast war und nur den Kopf schütteln konnte. Wo all die Lösungen – wofür eigentlich? – sein sollen, bleibt ihr Geheimnis.

Überhaupt boten die unterschiedlichen Reaktionen nach den zigfachen Übergriffen an Silvester ein breites Spektrum davon, was alles geeignet ist, um die massenhaften sexuellen Angriffe zu relativieren. Da musste besonders oft das Oktoberfest mitsamt der frei erfundenen Statistik einer Hardcore-Feministin und „Twitter-Aktivistin“ herhalten, um zu zeigen, dass das alles nichts Neues in Deutschland sei. Natürlich wurde auch eine neue Hashtag-Kampagne gestartet. Pseudo-Relevanz auf Twitter eben, in den Nachrichten wird ungewöhnlich oft vorgelesen, was ich wegen seiner Nicht-Relevanz gar nicht lesen möchte. Es ist halt billiger als echte Recherche.

Und wieder die Grünen, komisch: Auch die Vorsitzende Simone Peter musste in einem Interview einen Spruch raushauen, der bei ihren Parteifreund*innen (schreibt man das jetzt bei denen so?!?) freudig aufgenommen wurde: Eine weitere Million könnten wir verkraften, meinte sie, ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, wie diese weitere Million so untergebracht werden könnte, dass es alle noch als menschlich empfinden könnten. Turnhallencamps halte ich nicht für akzeptabel. „Refugees welcome“ tröten ja die meisten Grünen bei jeder Gelegenheit, während Mitglieder der eigenen Partei in den Kommunen aufstöhnen, weil sie die Belastungsgrenze spürbar erreicht haben. Da muss dann der Tübinger OB Boris Palmer schon mal Forderungen nach einem Parteiausschluss in Kauf nehmen, weil Probleme nicht ins Weltbild der Gutmenschenpartei schlechthin passen. Dies bestätigte ebenfalls Frau Peter am letzten Sonntag in „Berlin direkt“: Sie wolle Überbelastungen nicht ansprechen, weil das den Rechten in die Hände spielen könnte. Schön gesagt, Probleme werden so sicher nicht gelöst, wenn man nach „Refugees welcome“ aufhört zu denken. Wohnungen lassen sich nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen, Integration ist nicht nach einem Sprachkurs abgeschlossen. Dafür bräuchte es auch erst einmal ausgebildete Lehrer.

Und wenn sich dann Oliver Kalkofe in den sozialen Netzwerken aufmacht, ins gleiche Horn zu blasen, wird dessen Einzeiler „Lieber Gutmensch als Arschloch“ anschließend fleißig weitergeteilt, schließlich kann man auf diese Weise all diejenigen, die nicht Rüssel an Schwanz der bequemen Heile-Welt-Meinung nachlaufen, sondern vernünftig, aber warnend den Finger heben, als Arschloch bezeichnen und sich dabei ganz großartig fühlen. Der Gutmensch fühlt sich dann ja wieder ganz besonders moralisch überlegen. Und wenn unser Gutmensch dann auch noch den nächsten Einzeiler aufschnappt und den C-Parteien ihr C und der verbliebenen SU noch das S absprechen will, dann ist man ganz großartig. Das Problembewusstsein ist schließlich nicht vorhanden, und wenn, dann hört dies bei gemeinsamen Plätzchennachmittagen im Flüchtlingsheim auf, wo alle ganz nett waren. Und natürlich darf Heribert Prantl in dem Reigen nicht fehlen, der mit seinem wöchentlichen Kommentar zum eloquenten Sprachrohr wird, dessen Kommentare ebenfalls eifrig bei Facebook und Twitter geteilt werden. Die beschimpfen und verurteilen, die Probleme lösen wollen, ist mit einfachen Einzeilern so viel schöner und produziert auch wenig Widerspruch. Und wenn doch, wird die Empörungsmaschine angeworfen. Meistens wirkt diese.

Und all die Empörung- und Entsetzensbeauftragten mischen hier munter mit: Katrin Göring-Eckardt darf dabei nicht fehlen, Claudia Roth schon gar nicht, Volker Beck nicht, Renate Künast nicht, und auch Anton Hofreiter nicht. Sie alle fordern stets mantraartig, wie wichtig die Willkommenskultur sei, ohne auch nur einen klitzekleinen Vorschlag zu machen, wie die Flüchtlingskrise realistisch in den Griff bekommen werden kann. Dabei haben gerade die vielen grünen Claudia Roths mit ihrem Empörungsreflex jahrelang dafür gesorgt, dass Probleme mit Migranten möglichst kleingehalten wurden. Die Probleme einer ganzen Generation durften kaum thematisiert werden, ohne dass hysterisch Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass gekreischt wurde.

Gutmenschen sind seit Jahren die, die sich naiv und realitätsfern hinstellen und sich moralisch überlegen fühlen wollen. Es ist eine Sauerei, die vielen Ehrenamtlichen zu beschimpfen, in welcher Form auch immer. Alle leisten Großartiges. Es ist aber keine Sauerei, diejenigen als Gutmenschen zu verachten, die sich in Berlin und sonstwo hinstellen, und munter Standpunkte vertreten, die unser Land an seine Belastungsgrenzen bringen würden, in jeder Hinsicht. Aber dann ist es auch immer wieder der übliche Reflex, auf die AfD zu verweisen und der CSU, Horst Seehofer, Markus Söder oder Andi Scheuer vorzuwerfen, sie leisteten dieser Wahlkampfhilfe.

Vernunft und Realitätssinn sollte niemand außer Acht lassen. Wenn dann noch jedes Wort auf die politisch korrekte Goldwaage gelegt wird, wird es damit aber schwer, weil sich keiner mit unbequemen Meinungen in eine bestimmte Ecke drängen lassen will. Und wenn Kalkofe das „Arschloch“ als Alternative zum „Gutmensch“ anbietet, macht es sich manch einer eben lieber in der bequemen Gutmenschen-Sitzecke bequem.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“