Public Viewing in den Posthallen

Gestern war ich zum ersten Mal beim Public Viewing in den Posthallen. Ein bisschen fehlt mir dort das Flair, es wirkt halt alles etwas provisorisch und gemütlich finde ich es schon gar nicht. Es ist und bleibt eben eine Fabrikhalle.

Etwas russenlastig ging es dort zu, etwa ein Drittel der großen Halle war besetzt, ich selbst war mit Dom und drei Holländern dort, quasi als moralische Stütze für Dom, der wenigstens einen Deutschen dabeihaben wollte, um sich nicht mit Holländern freuen zu müssen. Russische Gangster mit komischen Mützen, auf denen silberne Siegel zu sehen waren, waren da, dazu gab es XXXXL-Klamotten bzw. Trainingsanzüge. Ein gewöhnungsbedürftiger Dresscode beim Fußball, aber interessant, richtig gefallen wollte es mir nicht. Lautstarke Unterstützung war der Sbornaja sicher.

Russen sind allerdings sehr leicht zu begeistern, bei ausgesprochen harmlosen, sprich völlig ungefährlichen Situationen sprangen viele auf und brüllten los, ganz so, als ob dadurch plötzlich eine Torchance entstehen könnte. Ebenso bei Angriffen der Holländern. Der dicke Typ links vor mir musste jedes Foul an einem Holländer beklatschen, wenn sich der Holländer am Boden wälzte wie Boulahrouz in einer Szene, dann gab es von ihm Sonderapplaus. Eine Unsportlichkeit, die ich nicht verputzen kann. Ein Foul kann man mal beklatschen, wenn es besonders heiß hergeht, aber nicht jedes Foul und nicht, wenn sich der andere krümmt vor Schmerzen. Ging es vor das russische Tor, wurden auch hier die Aktionen der Abwehr frenetisch gefeiert.

In der Pause sind wir dann in die Sportfreundlich-Arena umgezogen, aber ich habe jetzt endlich mal das Public Viewing in den Posthallen gesehen und mir dort einen Eindruck verschafft. Ein Biergarten mit Leinwand ist mir lieber, ganz gleich, wer spielt. Bei einem Deutschland-Spiel scheinen sie sich in den Posthallen dort ja totzutreten.

Hätte ich nicht gewusst, dass die vielen Menschen um uns herum „Rass-i-a“ rufen, ich wäre überzeugt gewesen, sie schreien „Rass-ier-er“ oder „Razz-i-a“, was angesichts der vielen Polizisten in der Halle nicht so abwegig gewesen wäre.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

11 Kommentare

  1. Es trifft vermutlich 90% die Falschen, wenn ich noch anmerken darf, dass man sich einfach bei den Russen sehr eingeschüchtert fühlt. Die Gesichter, die Klamotten, das Auftreten- sympathisch geht anders. Ich war zumindest heilfroh, dass wir die Halbzeit für einen Platzwechsel genutzt haben und werde die Posthalle auch zu einem anderen Spiel nicht mehr aufsuchen. Bierbänke, kleine Leinwand, Kellerluft – nein Danke. Da bevorzuge ich die SF-Arena:
    Ledersessel, LCD Bildschirm und seit Einführung der Stadionordnung deutlich mehr Spaß!

  2. Klar tun wir damit viel zu vielen Unrecht, aber bei den Gestalten mit ihren Gangsterklamotten um uns herum hätte ich ungern laut meinem Unmut über gewisse Szenen Luft gemacht.

  3. Arrgh, ein Deutsch Lehrer verwendet auch, den eigentlich falschen Begriff, „Public Viewing“. Naja, ich hoffe der „Leichenbeschau“ in den Posthallen hat wenigstens Spaß gemacht 😎

  4. Zwischen amerikanischem Englisch und britischem Englisch gibt es einen deutlichen Unterschied auch in der Bedeutung feststehender Begriffe. Ich denke, auf dem Gebiet kann Homer bessere Erklärungen abliefern, mir fällt kein anderer Begriff dafür ein und im Sinne der Sprachökonomie ist ein umständliches „Öffentlich zusammen Fußball schauen“ doch sehr unhandlich.

    „Public“ als Adjektiv und „Viewing“ als Nominalverb lässt sich meinen Englisch-Kenntnissen zufolge ganz legal verwenden. Die Amis kennen noch nicht mal Fußball, die müssen Leuten zuschauen, die mit Helmen und Panzerungen Pussy-Rugby spielen.

    Genug kluggeschissen! Dir auch einen schönen Abend!

  5. Also ist der Begriff „Pubic Viewing“ aus Faulheit entstanden. Für Public Viewing könnte man natürlich einfach „Öffentliche Vorführung“ sagen

  6. „Öffentliche Vorführung“ klingt etwas antiquiert und erinnert so ein bisschen an Geächtete, die im Mittelalter öffentlich vorgeführt wurden.

    Sprachökonomie hat nichts mit Faulheit zu tun, stelle dir vor, es gäbe keinerlei Pronomina und wir müssten jedes Substantiv immer und immer wieder verwenden, ohne es auch mal durch ein Fürwort zu ersetzen. Mehr mit weniger Worten zu sagen, erhöht die Aufmerksamkeit, auch wenn „öffentliche Vorführung“ und „Public Viewing“ gleich viele Wörter haben.

    Ich glaube, das wird eine müßige Diskussion, wenn wir sie denn fortsetzen. Auf jeden Fall liegt der Kollege mit der Deutsch-Webseite nur teilweise richtig, das ist mir gestern während der ersten Halbzeit durch den Kopf gegangen.

  7. ähm ehrlich gesagt, find ich es ziemlich übertrieben, wie du russen darstellst: gangsta-klamotten oder sportanzüge. ich war gestern dabei, und glaub mir, grad mal die hälfte war so angezogen!!!! und zudem: das bild obendrüber – ich sehe da nur einen im gangsta-outfit.
    zu der frage, warum russen bei jedem „scheiß“ gejubelt haben: da russland noch nie (seitdem ich auf der welt bin :-D) im fussball so weit gekommen sind. klar, haben wir uns alle gefreut und klar, haben wir es auch gezeigt! obwohl russland verloren hat, sind wir stolz auf sie, dass sie es bis zum halbfinale geschaft haben!
    du stellst uns in deinem text als psycho-gestörte-monster hin….dabei waren einige noch nicht mal 18, die drin saßen.
    ich wollte mich nur dazu äußern, da dein ganzer text eigentlich nur darauf basiert, uns russen anzugreifen.
    danke fürs lesen!

  8. Wir haben uns mit unseren holländischen Begleitern nicht sehr wohl gefühlt und ich schreibe über jungen Burschen, die um uns herum gesessen waren. Die haben uns böse angeschaut, wenn wir uns mal erlaubt haben, unsere Stimme bei einer holländischen Chance zu heben.

    Dass das nicht auf alle zutrifft, ist mir klar, am Samstag waren aber die meisten so angezogen. Punkt. Und: Ich wollte und will keinen Russen hier angreifen, dazu kenne ich selbst zu viele. Mir hat es eben am Samstag nicht gefallen und das habe ich geschrieben. Zu deiner Beruhigung, ich schreibe meistens etwas polemisch und berichte selten sachlich, sondern von meinem ganz persönlichen Standpunkt.

  9. Stimmt nicht, Public Viewing bezeichnet immer noch das öffentliche präsentieren einer Sache. Public Viewing ist eine „Erfindung“ von Medien.
    Man kann einfach nicht 1-zu-1 übersetzen, das führt meist zu Fehlinterpretationen und sprachlichen „Blödsinn“.

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