Suum cuique…

Esso und Tchibo haben ihre gemeinsame Werbeaktion „Jedem den Seinen“ gestoppt, weil ihnen wohl nicht bewusst war, dass der zugrundeliegende Slogan „Jedem das Seine“ von den Nazis an das Tor des Konzentrationslagers Buchenwald geschrieben wurde, und die Empörung dementsprechend groß war. Alles andere wäre ja auch verwunderlich gewesen. Ich muss zugeben, ich wusste bis letztes Jahr auch nicht, dass „Jedem das Seine“, eine Floskel, ein alltägliches Sprichwort, dort auch heute noch zu lesen ist. Kurz gegoogelt landet man aber beim Wikipedia-Eintrag, der einem genau das mitteilt. Will man sich eine Diskussion und die Welle der Empörung ersparen, denkt man sich als Werbeagentur wohl besser entweder einen anderen Slogan aus oder überprüft diesen auf mögliche verfängliche Stolperfallen. Kampagnen mit dem Spruch „Jedem das Seine“ wurden schon öfters zurückgezogen, Nokia, Rewe, Burger King und eine Münchner Bank wissen ein Lied davon zu singen.

Ich kenne das Zitat suum cuique in Zusammenhang mit Cicero aus dem Lateinunterricht. Ein geflügeltes Wort, das ich auch nicht als Nazi-Spruch bezeichnen würde, wie es Spiegel-Online getan hat. Dieses ist nämlich sehr viel älter und von den Nazis nur aufgegriffen worden. Der Spruch ist zwar seitdem negativ konnotiert durch die perverse Verwendung am Eingang eines Vernichtungslagers, keine Frage, aber das Ganze eine „nicht zu überbietende Geschmacklosigkeit“ zu nennen, ist doch sehr übertrieben, ebenso die Alternative „totale Geschichtsunkenntnis“. Ich wage zu behaupten, ein breites historisches Wissen zu haben, aber auch mir war das wirklich bis letztes Jahr nicht bewusst.

Merkwürdigerweise scheint die Empörung in diesem Fall mal wieder größer als bei all den hasserfüllten Anti-Israel-Demonstrationen der letzten Wochen, bei denen nicht die Palästinenser, sondern die Hamas unterstützt werden, israel- und judenfeindliche Hasstiraden ungehindert losgelassen werden dürfen und Israel-Flaggen von der Polizei entfernt werden, weil sonst die Menge zum Mob geworden wäre. „Kindermörder Israel“ scheint völlig normal zu sein (der Ritualmord-Vorwurf aus dem Mittelalter lässt grüßen), Hakenkreuze neben dem Davidsstern stören nicht und „Tod Israel!“ drückt ja auch nur die Solidarität mit der notleidenden Bevölkerung in Gaza aus. Vergleiche mit dem Holocaust? Auch nicht schlimm. Aber wehe, ein Politiker bedient sich einer unglücklichen Metapher oder spricht – zugegeben dämlich – von einer Pogromstimmung gegen Manager. Warum hebt hier niemand den Zeigefinger, der sonst sofort reflexartig gehoben wird, wenn man einem Deutschen irgendwas Braunes unter die Nase reiben kann? Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass sind von Deutschen offensichtlich schlimmer, dabei ist das keine Spur besser oder anders. Bedenklich sind auch diese Umfragewerte: Scheinbar haben immer mehr Leute kein Problem, offen das Existenzrecht Israels zu bestreiten. Hauptsache, fleißig „Wehret den Anfängen!“ rufen und immer gegen Faschisten wettern.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

7 Kommentare

  1. Du hast mir das Thema geklaut 😉 Ich wollte auch darüber bloggen unter dem Titel „Hitler hat Unterhosen getragen – soll ich deshalb darauf verzichten?“ – schade 🙂

  2. Jetzt nicht falsch Verstehen: Was damals passiert ist ist keineswegs ok, aber muß man jedes Wort auf die Goldwaage legen, nur weil es irgendwann mal evtl. in einem nicht so schönen Zusammenhang gesagt/genannt wurde?

    Man kann es auch übertreiben!

    Aber wir Deutschen lassen uns wohl immer wieder gerne die Vergangenheit unter die Nase reiben. Ich aber nicht, ich kann ja auch nichts für die Vergangenheit. Ich habe da ja auch noch nicht gelebt! Aber bitte: Jedem das Seine!

  3. Freilich, genau die regen sich ja bei jedem unglücklich gebrauchten Wort auf, aber nicht wenn wieder munter zum Hass gegen Juden aufgerufen wird.

    Die, die was finden wollen, überlesen solche Sachen sowieso, die stören sich dann lieber an Nagetieren auf Stadionbildern.

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