„Typisch deutsch“ – früher war das Pedantentum und Paragraphenreiterei, das strikte Festhalten an Vorschriften, dem bei einem Fehlverhalten umgehend die Anzeige folgt. Hinzu kam irgendwann das Herumnörgeln an allem und jedem und die Schwarzmalerei. In den letzten Jahren hat sich das Gutmenschentum als etwas entwickelt, das offenbar auch etwas typisches Deutsches zu werden scheint. Über was öffentlich eine Scheindebatte geführt werden muss, manchmal ist es einfach nur noch zum Kotzen.
Ein Beispiel vom Fußball? Franck Ribéry und Toni Kroos sind sich nicht einig, wer einen Freistoß schießen soll, daher spielen sie kurz Schnick-Schnack-Schnuck. Ribéry gewinnt und schießt den Freistoß in die Mauer. Vergessen? Nein, es wird eine lächerliche Diskussion darüber geführt, ob das respektlos und unsportlich gegenüber dem Gegner gewesen sein könnte, schließlich stand es schon 3-0 für die Bayern. Natürlich muss Sportchef Nerlinger dieses Verhalten seiner Spieler kritisieren, da sind sich dann aber auch die Ex-Bayern Stefan Effenberg und Mario Basler nicht zu schade, dieses Verhalten aufs Ärgste zu verurteilen. War es nicht Basler, der einst einen Eckball mit dem Hut eines Fans schießen wollte und gerade noch daran gehindert wurde? Heute müsste er sich dafür entschuldigen wie einst Mehmet Scholl, weil der in seiner flapsigen Art einen grünen-feindlichen Spruch als sein Motto ausgegeben hatte. Das Bayern-Jahrbuch musste geschwärzt werden.
Schlimmer als eine solche Lappalie auf dem Fußballplatz ist die Dauerempörung in der Tagespolitik, wenn etwas gegen die gutmenschliche Political Correctness verstößt, Claudia Roth als Bundesempörungsbeauftragte hat diese Form der politischen „Nicht-Auseinandersetzung“ leider mit zur „Kultur“ erhoben: Bestes Beispiel ist die Scheindebatte um ein Wahlkampfplakat der Saar-FDP, auf dem folgende unzumutbare Entgleisung zu lesen war:
Grüne und Piraten sind sich nicht zu blöde, über diesen Spruch eine Rassismus-Diskussion zu führen und Tobias Huch (JuLi-Chef Saar), der das Foto getwittert hatte, im Internet massiv anzugreifen. Haben diese Vögel schon mal von dem sprichwörtlichen „Eiertanz“ gehört? Wenn aus dem Eiertanz bezüglich der Euro- und Schuldenkrise ein „Sirtaki“ wird, um den Blick auf den Krisenherd Griechenland zu lenken, ist diese Scheinheiligkeit, mit der hier – wieder einmal – die Rassismuskeule geschwungen wird, um jemand anderen mundtot zu machen oder zu diffamieren, einfach ekelhaft. Aber: Genug Leute springen ja gerne auf den Zug auf, wenn sich jemand über Rassismus empört. Oder ist es die Publicity, die diejenigen für sich erhoffen, die andere mal eben als „Rechtspopulisten“ und „Nazis“ beschimpfen. Wegen so eines Spruches… Armes Deutschland.
Totale Wut und tiefste Empörung hat bekanntlich auch Thilo Sarrazin bei vielen hervorgerufen. Auf diese Weise wurde dann der eheamlige Bundesbankchef schnell zur persona non grata erklärt, mit den Rassismusvorwürfen wurde zusätzlich auf recht einfache Weise bewerkstelligt, dass sich die wenigsten laut mit den Problemen befasst haben, über die Sarrazin eigentlich schreibt, es wurden nur Zitate und Passagen angeprangert, die auch ins Bild passen. Sogar zum Islamfeind wurde Sarrazin geschrieben und geredet, gelesen haben dürften die wenigsten das ganze Buch, aufgeregt haben sich aber ganz viele und die tun das auch heute gerne. Sachthemen zu diskutieren ist schließlich anstrengender als ein bisschen gezielte Empörung. Und wenn Joachim Gauck Sarrazins Mut gelobt hat, dann sicher wegen der angesprochenen Sachfragen und -themen und nicht wegen des Abstammungsunsinns, auf den „Deutschland schafft sich ab“ gerne reduziert wird.
Und so ist auch das Getue um die Eignung bzw. Nicht-Eignung von Joachim Gauck im Vorfeld der 15. Bundesversammlung ein gutes Beispiel für diese Empörungsunkultur: Da wurden aus dem Zusammenhang gerissene Zitate herangezogen, um sich über Gauck aufzuregen, weil der es eben gewagt hatte, Thilo Sarrazin mutig zu nennen. Gelesen haben die Ober-Empörten des Buch sicher nicht, beschimpft und diffamiert haben sie ihn trotzdem und Gauck gleich mit. Mit anderen Zitaten wurde in ähnlicher Weise verfahren, so wurde dem evangelischen Theologen soziale Kälte und Härte angedichtet, weil er mehr Eigenverantwortung von Arbeitslosen gefordert hatte; ehe man sich jedoch informiert und über das erste Google-Suchergebnis hinwegschielt, wird vom denkfaulen „User“, aber auch von Journalisten und Politikern, irgendein Mist bei Twitter oder sonstwo aufgeschnappt und mitgenommen, unhinterfragt weiterverbreitet und dabei noch mit dem notwendigen Empörungssenf versehen.
In der Mediendebatte um Christian Wulff wurde fast parallel auch klar, dass zwar „Geiz ist geil“ und die Gier nach Rabatten beim normalen Pöbel Volk alltäglich sein darf, die Schnäppchenjagd aber verfänglich wird, wenn ein Politiker auf die Pirsch nach Zuwendungen geht, auch wenn diese zum Teil doch mehr als plump gewesen zu sein scheint. Apropos Jagd: Wir leben auch in einem Land, in dem sich die Tierschutzfaschisten Tierschutzextremisten allen Ernstes dafür einsetzen, dass sich „Jägermeister“ umbenennt. In WALDMEISTER. Kein Scherz. Aus Image- und Tierschutzgründen solle so nicht mehr das sinnlose und hinterhältige Töten in den Wäldern verharmlost werden (Link führt zur PETA-Seite), dem Jahr für Jahr Millionen Tiere zum Opfer fielen, PETA spricht von einem allgegenwärtigen Massaker in den deutschen Wäldern. Verkaufsfördernd wirke das auf all diejenigen, die durch „Jäger“ abgeschreckt würden. Glauben die diesen Mist im Ernst?
Da aber medienwirksame Empörung zum normalen Spielball geworden ist, braucht es nur das Internet, um entweder den nächsten Shitstorm loszutreten, oder eben das Mikrophon eines dankbaren Fernsehsenders, der dann aus einer Maus einen Elefanten macht und das Ganze aufbauscht und skandalisiert. So, das musste mal gesagt werden. Und selbst wenn jetzt ein Sarrazin-Shitstorm über mich und meinen Blog hereinbricht, es ist mir egal!
Sehr richtig!! Du weißt ja, dass ich kein großer Bayern-Fan bin, aber ich fand die Aktion sehr lustig und sie hat mir Ribéry sehr viel sympathischer gemacht. Warum man sich darüber echauffieren muss, keine Ahnung. Eine Diskussion über das Plakat der Desperados (Dortmunder Ultras) wäre gerechtfertigt gewesen, auch wenn sie dann die Aufmerksamkeit, die sie nicht verdient haben, aber haben wollten, bekommen hätten. Durch die Andeutungen („Ein Plakat der Dortmunder Ultras sorgte für Empörung“), im Sportstudio wurde in meinen Augen gerade das Interesse erst geweckt.
Wie auch immer, ich finden diesen Post wirklich großartig!
lg
Danke! 🙂
Getroffene Hunde bellen, oder?
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,823718,00.html
Da empören sich wieder die Richtigen, das ist ja richtig schlimm, dabei zeigt gerade das Affentheater um „Stuttgart 21“, dass Proteste nur die richtige Vermarktung brauchen, um aus einer Minderheiten eine gefühlte Mehrheit zu schaffen, deren Meinung dann über allem zu stehen scheint, weil es ja die Meinung der Masse ist.