Die beste Reportage des Jahres

Auch wenn die ZDF-Reportage „Flucht vor dem Winter“ schon älter ist und schon mehrmals gelaufen ist, ich habe sie am Sonntag erstmals im ZDF-Infokanal gesehen und eine diebische Freude dabei gehabt, da alle Klischees erfüllt worden sind, die man landläufig mit deutschen Campern in Verbindung bringt. Leider habe ich keine Aufnahme mehr machen können, weshalb ich alles aus dem Kopf zusammenkramen muss:

Ein Rentnerehepaar aus dem Thüringen kommt auf dem Campingplatz Ondo Azzurra in Kalabrien (an der Stiefelspitze Italiens) an, dort werden sie von Platzwart Dieter, der breitestes Hessisch schprischt, exakt in ihre Parzelle eingewiesen, ehe sich die Frau in einer ersten Unterhaltung erkundigt, ob auf dem Platz vorwiegend Deutsche Dauercamper wohnen oder ob auch Ausländer wie die Italiener dort wohnen. Gemischt sei das Klientel, allerdings seien es doch über 90% Deutsche. Großartig. Die Nachbarn sind zufälligerweise aber doch Deutsche, Boris und seine Frau – ebenfalls Hessen – helfen sofort beim Aufbau des Vorzelts des Wohnmobils, ehe Boris und seine Frau zurück zum eigenen Wohnmobil gehen und Asko, der deutsche Schäferhund, aus dem Zusatzanhänger befreit wird. Der Hund muss allerdings angeleint werden, so ist es Pflicht. Die Frau verschwindet zum Kochen, Boris schürt den Grill an.

Einen Adapter für den Stromanschluss in Italien hat der Neue selbstverständlich, auch wenn der Platzwart nachfragen muss, als der Nicht-Camper, Dieter merkt so was sofort, mit seinem Stecker kommt und sich erkundigt, wie weit die Leitung abgeschirmt ist. Einen Wasseranschluss gibt es nicht, der Tank muss mit dem Schlauch jeweils aufgefüllt werden. Für Camper aber kein zusätzlicher Umstand und Teil der täglichen „Arbeit“, wie es Boris nennt.

Die Frau kocht im Extra-Zelt, auch Koch-Zelt genannt, da die Essensgerüsche im Wohnmobil auf Dauer schon stören. Bei den Urlaubern ist das so, bei Boris und seiner Frau nicht. Es gibt Gulasch mit Kartoffeln und Blaukraut, das natürlisch bei Boris und soinä Fraa Rotkohl heißt. Hier philophiert der Chef-Soziologe Boris erstmals über die Unterschiede zwischen deutscher und italienischer Küsche und seine eigenen Vorlieben. Acht von zehn Essen mag er nicht, aber verschneubt (= vernäscht) sei er nicht, wie mansche übä ihn behaupten. Drei Wochen könne man das Essen der Italienä aushalten, so ä Pizza oder ämal Spaghetti, das geht, aber auf Dauer könnte er dieses Essen nicht ertragen, schon gar nicht neun Monate lang, so lange bleiben Boris und seine Frau nämlich in Kalabrien, um der deutschen Kälte zu entfliehen. Wegen der Gesundheit seien sie hier, weiß Boris’ Frau. Dazu deutsches Bier, so lässt es sich leben, 100 Meter Luftlinie vom Mittelmeer entfernt.

Einmal im Monat machen die Besitzer von Motorrollern und Motorrädern einen gemeinsamen Ausflug, dieses Mal fährt Alt-Rocker Boris, ein großer Motorrad-Fan, mit seinem Trike voraus, ein ZWeirad darf er wegen seines Rückenleidens nicht mehr fahren. Vorteil: Mit dem Trike kann der Hund im Anhänger mitkommen. Nach einer Klosterbesichtigung wird auf einem Parkplatz Picknick gemacht, der Hund hat Freilauf, Hilde hat den Kartoffelsalat gemacht und auch Frikadellen (so wurden die halt von der Gruppe genannt), Schnitzel und andere deutsche Vespereien durften nicht fehlen. Im Gegensatz zu den Italienern, dieses Mal liefert Boris’ Frau die soziologische Analyse, packen die Deutschen aber immer ihren Müll wieder ein und lassen es nicht in der Natur liegen, damit es irgendjemand wieder einsammelt.

Zurück am Campingplatz geht es um das Restaurant am Campingplatz, das normalerweise im Winter geschlossen hat, für die Dauercamper aber dennoch seine Pforten öffnet. Boris, bekanntermaßen kein Freund der italienischen Küsche, palavert wieder über Nudeln und das Essen des Italieners, als er seinen granadiosen Einfall in die Tat umsetzen will, dem Koch mal beizubringen, wie er zumindest ein- oder zweimal pro Woche so kocht, dass es auch den Deutschen schmeckt, da der Deutsche ja, was das Essen betrifft, nicht ganz einfach ist, wie Boris weiß. Boris und seine Frau marschieren also in Absprache mit dem Besitzer in die Küsche und schlagen dem Italo vor, gedolmetscht durch den italienischen Platzwart-Gehilfen, ob die Frau nicht dem Italo mal zeigen soll, wie der Deutsche, der ja so heikel ist, auch im italienischen Kalabrien auf seine Kosten kommt. Italo, der so heißt, zeigt sich, das verrät sein Gesichtsausdruck, völlig begeistert und bekommt schon bald Nachhilfe-Unterricht im Kochen. Pommes aus der Tüte werden gebacken, da der Deutsche zum Schnitzel nur Pommes mag und sonst nichts, dazu werden Schnitzel geklopft und paniert und anschließend mit Käse überbacken oder mit Champignon-Soße zugedeckt. Der Deutsche ist zufrieden und Italo ist keine abfällige Bezeichnung Boris’ für den Koch, sondern der Spaghetti-Koch heißt tatsächlich so. Das kommt aber auch erst jetzt raus.

Auf dem Campingplatz hat alles seine deutsche Ordnung, von zwölf bis drei ist Mittagsruhe und kein Auto darf über den Platz fahren, der Platzwart schneidet die Olivenbäume, weil das die deutschen Urlauber so wollen, der Luxus-Camper aus Garmisch spricht über Neid und sein riesiges Wohnmobil inklusive Smart-Garage, während er vollautomatisch die völlig natürliche Kacke aus seinem Gefährt ablässt, das keine blaue Chemie braucht wie die Domizile der anderen Camper.

Auf dem Markt in der 20 Kilometer entfernten Stadt wird eingekauft, damit Boris sein deutsches Essen nicht nur einmal wöchentlich im Restaurant bekommt. Angesprochen von einem italienischen Käsehhändler, der seine Spezialitäten verkaufen will, erzählt Boris aber dem Reporter, dass er Käse schon mag, dass ihm aber ein Gouda lieber ist. Italienischer Käse schmeckt ihm nicht, am liebsten mag er sowieso den hessischen Handkäse. Mit anderen deutschen Dauercampern, die Boris und seine Frau auf dem Markt treffen, erkennen sie wieder den typischen Italiener, der seinen Dreck einfach liegen lässt wie der Händler, der seinen Stand abgebaut, aber den Dreck zurückgelassen hat.

Die Krönung ist dann der wöchentliche Tanzabend, bei dem die deutschen Rentner richtig abgehen. Boris legt seine deutschen Schlagerschnulzen auf, zu dem die Senioren das Tanzbein schwingen, als der Holzmichl noch lebt, erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt. Einmal im Jahr geht es dann mal zurück nach Deutschland, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Eine herrliche Reportage, die leider nicht in der ZDF-Mediathek vorhanden ist. Dieser Forumseintrag war das einzige positive Suchergebnis. Wer das Video findet, soll den Link einfach in den Kommentaren verewigen.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

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