Unsere Jugend muss ganz grausam gewesen sein, meine Generation ist offenbar nur knapp daran vorbeigeschrammt, völlig verwahrlost und verroht zu einem Barbarenvolk zu werden, das wieder in alte Muster verfällt, weil wir Bücher gelesen haben, die nicht systematisch bereinigt und politisch korrekt gleichgeschaltet wurden, um unsere an sich kranken Naturen zu schützen. Efraim Langstrumpf darf ja schon länger kein „Negerkönig“ mehr sein, weil „Neger“ scheinbar für zu viele Menschen mit dem gemeinen Schimpfwort „Nigger“ gleichbedeutend ist und daher ebenso als Herabwürdigung oder Beleidigung gesehen wird. Pippis Papa ist jetzt in den Neuauflagen des Lindgren-Klassikers ein Südseekönig. Wohlgemerkt nur in Deutschland, die Schweden haben nicht solche Probleme wie manchereiner bei uns. Wie weit soll das gehen? Werden auch die Filme mit Pippi bald überpiepst oder neu synchronisiert? Vielleicht darf dann Klein Erna auch nicht mehr erzählen, dass ihr Papa bei den Negers ist und alle verhaut, wenn er wieder zurück ist?
Auf jeden Fall hat der Korrekturwahn der vorsorglich Betroffenen jetzt auch Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ erreicht. Als die kleine Hexe im Wald Fasching feiert, ist ihr Rabe Abraxas ganz gespannt und will wissen, „ob es auf ihrer Fastnacht auch Neger, Chinesen und Eskimos geben werde“ (S.93). Diese Passage soll jetzt umgeändert werden, schließlich ist das Wort „Neger“ in den Augen vieler Menschen unerträglich geworden. Warum, das werde, das will ich aber auch nicht verstehen, weil die stets um irgendeine Gerechtigkeit bemühte Begriffefieselei immer größere und absurdere Ausmaße annimmt. „Nigger“ ist ein fieses Schimpfwort, das ich selbst verachte, weil es eine fiese und herabwürdigende Beleidigung ist. Dass man „Neger“ in den letzten Jahren in die gleiche Ecke gerückt hat, finde ich lächerlich, dass es aus Kinderbüchern verschwinden soll, noch mehr. Jedes Buch ist schließlich ein Kind seiner Zeit, daher muss man in diesen auch nicht rumpfuschen, selbst wenn dort Wörter vorkommen, die heute vielleicht nicht mehr ganz so geläufig sind. Lange dauert es sicher nicht, ehe auch die anderen Klassiker der Jugendliteratur durchforstet und nach einem empörten Aufschrei bereinigt werden, wie Jacques Schuster in seinem Kommentar vermutet. „Negerküsse“ und „Mohresköpfe“ dürfen wir ja auch nicht mehr essen, der „Sarotti-Mohr“ ist seit einiger der „Sarotti-Magier der Sinne“. Wer hat das eigentlich losgetreten, dass „Mohr“ und „Neger“ böse sind?
Darüber hinaus werden in „Die kleine Hexe“ auch gleich andere Begriffe getilgt, weil man beim Thienemann Verlag zwar etwas vom Sprachwandel mitbekommen haben will, sich aber offenbar der Tatsache verweigert, dass weniger gebräuchliche Worte auch durchaus erhalten und bewahrt werden können, da es keinem Kind schadet, im Zweifelsfall auch mal nachzufragen, was ein Wort bedeutet. Schuhe werden jetzt poliert und nicht mehr gewichst, Eltern könnten schließlich entsetzt schauen, wenn ihr Kind fragt, was „wichsen“ bedeutet. Aber wer bei „Schuhe wichsen“ ans Onanieren denkt, dürfte sowieso ein größeres Problem haben. Und wenn in „Die kleine Hexe“ jemand eine gewichst bekommt, bekommt er eben eine Ohrfeige. Dies sollte man aber auch nochmals generell überdenken. Könnten sich die Streithähne nicht in einem Schlichtungsgespräch mit einem Mediator zusammenfinden? Der Türke mit Fez und Pluderhose passt also ebensowenig in das politisch krampfhaft korrekte Weltbild wie ein als Chinese, Hottentottenhäuptling, Menschenfresser oder Eskimo – auch ein inzwischen verpöntes Wort – verkleidetes Kind. Und was passiert mit der „Muhme Rumpumpel“? Wird die böse Gegenspielerin der kleinen Hexe zur „Tante Rumpumpel“, damit auch das letzte Kind nicht wie der Ochs vorm Berg steht, wenn ein Wort fremd erscheint? Will der Verlag restlos alle veralteten Begriffe tilgen?
Zurück zu den Negern, Chinesen und Eskimos bei der Fastnacht im Jugendbuch: Die Ursache dieses Mal war ein Mitarbeiter im Referat „Migration“ – „Ausländer“ ist ja abwertend und betont das Fremdsein, weshalb ich als Tourist auch im „Gästebüro“ nach Zimmern frage und nicht mehr im „Fremdenverkehrsamt“ – bei der Heinrich-Böll-Stiftung, die – wie sollte es im Fall von Sprachgerechtigkeitswahn auch anders sein?! – den Grünen nahe steht. Dieser hat das Buch gelesen und war verstört, er hat natürlich sofort Ausgrenzung, Rassismus und ähnliches gewittert und umgehend den Verlag angeschrieben, der natürlich noch umgehender reagieren musste und sowieso eine Neuauflage geplant hatte. Mit Änderungen.
Die krampfhafte Euphemismen-Sucht macht aus unserer Sprache mehr und mehr eine „Trottelsprache“,Jan Fleischhauer bringt es in seiner Spiegel-Kolumne auf den Punkt und zeigt den Verbesserungsirrsinn am Streit um die tatsächliche Herkunft des Wortes „Eskimo“, die man ja jetzt „Inuit“ nennen muss, um sie nicht herabzuwürdigen. Er hinterfragt auch gleich die Verwendung von „Hexe“ und verweist auf die ganze vorsorgliche Rücksichtaufnahme. Wem gegenüber eigentlich? Der Verdacht, es könnte jemanden stören, reiche oft schon aus, um den sprachlichen Großputz zu starten. Ein ernsthafter Umgang mit Literatur sieht anders aus, in der FAZ wurde völlig richtig hinterfragt, warum Kinder- und Jugendliteratur nicht in gleicher Weise ernst genommen werde wie selbst mäßige Werke der Erwachsenenliteratur, die man nie in gleicher Weise anrühren würde.
Schade, dass man hier krampfhaft in den Klassikern herumfuhrwerken muss. Schade auch, dass Menschen, die dieses vorsorgliche Getue kritisieren, schnell – und zwar ganz schnell – als Rassisten gebrandmarkt werden:Denis Scheck hat in der ARD (Druckfrisch) den „politisch korrekten Sprachexorzismus“ kritisiert und auf Orwells „1984“ verwiesen, wo die Vergangenheit systematisch umgeschrieben und auf diese Weise ausgelöscht wurde. Weil er sich in dem Fernsehbeitrag mit schwarzer Theaterschminke das Gesicht angemalt hatte, wurde die Rassismuskeule herausgeholt, weil das in den USA (!) rassistisch sei. In den USA kann man auch Sturmgewehre kaufen.
Ich bin mit allem d’accord – bis eben auf den letzten Absatz. Als ich Scheck in black sah, habe ich sofort an die Minstrel Shows denken müssen. In meinen Augen ein Affront, der der ARD nicht würdig war, weil die Analogie zu offensichtlich ist.
Wird dann bei Karl May auch das „Bleichgesicht“ ersetzt? Ich schreib denen mal, fühle mich eindeutig..? Ähm? Diskriminiert!…
Betroffener hat mich bei Karl May der zutiefst abwertende und häufige Gebrauch des Wortes „Rothaut“ gemacht, zudem werden sie – ich bin empört! – „Indianer“ genannt. Die indigenen Völker werden hier als Wilde dargestellt, die geschwollen daherreden und ständig auf dem Kriegspfad sind.
Das steht ja völleg ausser Frage, dass Rothaut ersetzt werden MUSS. Ganz zu schweigen vom Feuerwasser Konsum dieser Roth-äute. Bin betroffen und empört. Zugleich. Andernfalls frage ich mich, wenn wir nun politisch korrekt über die Parteienlandschadt reden wollen, sollten wir dann nicht auch dort dieses Reduzieren auf eine Farbe überdenken? Die Roten, die Schwarzen, die Gelben (na gut bei der FDP ist eine Hälfte ja ständig blau…). Und die Grünen passen ja auch wieder gar nicht ins ethnische Minderheiten Schema-quasi null Integration. Letztendlich wieder mal mehr Fragen als Antworten.
Neger und Mohr sind nicht böse. Aber eben Begriffe, die kolononialistisch geprägt sind, d.h. von einer Mehrheit einer Minderheit ohne zu fragen aufgedrückt worden sind, und deshalb deren Identität verleugnen. Kleines Gedankenexperiment: du (Leser) gehörst einer Minderheit an, sagen wir mal du bist Franke (oder besser: Club-Fan). Die Franken werden von einer Mehrheit unterdrückt, sagen wir mal den Bayern. Ihnen werden Rechte abgesprochen, sie werden diskriminiert, etc. d.h. Franken sind in vielerlei Hinsicht gegenüber den Bayern im Nachteil. Nun werden die Franken (oft sogar aufgrund der Tatsache, dass sie benachteiligt sind) auch noch von den Bayern als, sagen wir einmal mit den Begriffen Hundsbuabn und Muhhackl bezeichnet. Und weil die Bayern die Franken so nennen, tut es der Rest von Deutschland auch. Die Begriffe gehen in Artikel und Kinderbücher ein. Irgendwann verliert sich vielleicht die negative Konnotation der Begriffe. Aber ist es deshalb nicht immer noch falsch das Frankenvolk so zu bezeichnen? Wäre es nicht angebrachter den Franken selbst zu überlassen, wie sie sich benennen wollen? Wird ihnen nicht ein Stück Identität abgesprochen, wenn man sie einfach einmal anders nennt als sie sich selbst? Die Inuit bezeichnen sich eben nicht als Eskimos (der Begriff stammt von den Franzosen), Neger bezeichnen sich nicht als solche und afrikanische Völker bezeichnen sich sicher nicht als Hottentotten. Wir bezeichnen uns doch auch nicht undifferenziert als Weiße, sondern als Deutsche, Österreicher, Europäer oder whatever. Ist doch eigentlich nicht so schwer zu verstehen oder?