Die schönsten Geschichten schreibt das Leben

Lange habe ich hier nichts mehr geschrieben, noch länger ist es her, dass ich mich dem gewidmet habe, was direkt in meiner Umgebung passiert ist: An einem schönen Septembertag bin ich unlängst mit dem Bayernticket nach Nürnberg gefahren, da an diesem Tag auch die Flugbegleiter und natürlich auch die _Innen gestreikt haben, war die Sorge vieler Mitreisender zu spüren, dass deswegen die Züge überfüllt sein könnten. Die Strecke von Würzburg nach Nürnberg war davon nicht betroffen, die Frau in unserem Waggon hatte aber alle Vorbereitungen getroffen, sollte doch alles schiefgehen. Wir waren noch im Bahnhof gestanden, da wussten wir alle Bescheid, wohin es gehen soll. Nach Oberbayern, zum Paten von Augustinus (Name geändert), der quengelig und aufgeregt gleich am Fenster seinen Platz besetzt hat, um noch aufgeregter alle anderen wissen zu lassen, dass auf dem anderen Gleis ein „California“ steht. Der stand da sicher nicht, weil ein „California Zephyr“, den ich mir gerade ergoogelt habe, wäre mir aufgefallen. Da stand nur ein roter Nahverkehrszug. Und Jungs, die Zugtypen auswendig können, sind mir nicht weniger suspekt als Mädchen, die ihre Pferde verabsolutieren, das nur mal am Rande. Und nur bis Samstag, weil ja am Sonntag wieder Chorprobe sei. Auf jeden Fall hat seine ebenfalls aufgeregte Mutter Lisbeth Möcht (Name geändert) aus dem gleichen Dorf am Main getroffen und es umgehend bedauert, dass sie sich nicht früher über den Weg gelaufen sind, da sonst die Lisbeth auf ihrem Bayernticket hätte mitfahren können. Immerhin hat sie sich gleich auf den Platz hinter Augustinus’ Mutter gesetzt, ich habe mich in der Folgezeit mehrmals gefragt, ob sie das nicht bereut hat. Wir haben nämlich gerade den Hauptbahnhof in Würzburg verlassen, als Augustinus schon gefragt wurde, was er aus der reichlich gefüllten Essensbox haben möchte. Trauben wollte er nicht, auch nicht das Weckle mit Wurscht, das sie am Morgen extra noch belegt hatte. Noch vor Rottendorf wollte Augustinus dann aber doch das Weckle, weil er keine Trauben mag. Da auf der Strecke nach Rottender offenbar am Gleis gearbeitet wurde, mussten wir im Bahnhof Rottendorf gute fünf Minuten auf einen entgegenkommenden Zug warten, was die Mutter unglaublich nervös machte. Sie hat folglich ihren Mann angerufen, ihm gesagt, dass sie im Zug sitzen, dass sie einen Sitzplatz bekommen haben und dass sie jetzt im Bahnhof Rottendorf stehen. „Es fängt schon gut.“ Sie hätten ja in Nürnberg nur knapp eine viertel Stunde, um in den Zug nach München umzusteigen, wenn das so weiterginge, würden sie den verpassen. Und die Lisbeth Möcht haben sie getroffen, das sollte sich ihr Mann vorstellen. Die fährt an den Bodensee und wenn sie sich früher getroffen hätten, hätte die Lisbeth nicht extra ein Bayernticket kaufen müssen. Und dem Augustinus geht es auch gut.

Die kurze Standzeit in Rottendorf hat die Nervosität noch verstärkt, kurz nach dem Anrollen hat sie laut und sehr erleichtert geseufzt, als schon wieder ihr Telefon laut und sehr schrill geklingelt hat. Es war wohl eine ebenfalls sehr vertraute Person aus dem gleichen Dorf am Main, denn nach der Information, dass sie sich mit Augustinus im Zug nach München zum Paten befände, wurde auch dem zweiten Anrufer gleich erzählt, dass sie die Lisbeth Möcht getroffen haben, diese an den Bodensee fährt, direkt hinter ihr sitzt, aber nicht auf dem gleichen Bayernticket fährt wie sie. Nach dem zweiten Gespräch habe ich schon auf den nächsten Anruf gewartet, leider kam dieser bis Nürnberg nicht mehr, dafür hat sich die Mutter dann über die Trauben hergemacht, von denen Augustinus auch welche wollte, nachdem er gefragt hatte, ob diese auch wirklich ohne Kern seien. Sie waren kernlos, die Mutter hatte extra am Markt gefragt. Lisbeth Möcht wurde dann darüber in Kenntnis gesetzt, warum sie überhaupt nach München fahren: Ihr Bruder, der Pate vom kleinen Augustinus, hat dort gebaut und ist erst kürzlich ins neue Heim eingezogen. Daher hätten sie auch den prall gefüllten Flechtkorb mit Gschenkli dabei. Aber wegen der Kirchenchorprobe bleiben sie nur eine Nacht.

Die Mutter hat dann beschlossen, dass sie aufs Klo muss, vorher hat sie aber mit ihrem Sohn (geschätzte 8 Jahre alt) darüber debattiert, in welche Richtung der Weg kürzer sei. Der durchaus berechtigte Vorschlag des Knaben, Richtung Lok zu laufen, weil wir sehr weit vorne im Zug saßen, wurde abgewiesen, die Mutter ging in die andere Richtung und schlagartig war es sehr leise im Abteil, nur verhaltenes Getuschel und Gekicher war zu hören, weil die Frau inzwischen ihre gesamte Umgebung unterhalten hat, ohne es zu merken. Als sie zurückgekommen ist, hatte sie natürlich recht, dass ihr Vorschlag richtig war, aus Langeweile hatte Augustinus inzwischen aber auch einen überdimensionierten Army-Kampfhubschrauber ausgepackt und versucht, Fluggeräusche zu machen, die aber eher so klangen, als hat der einen Zweitakter eingebaut, der aus unerfindlichen Gründen blubbert. Schockiert, dass Augustinus den großen Hubschrauber doch mitgenommen hat, redete seine Mutter wieder auf Lisbeth ein, wobei sie immer wieder nervös auf die Uhr schauen musste, weil ja schon in Rottendorf so viel Zeit liegen geblieben ist. In Neustadt an der Aisch hat Augustinus wieder einen „California“ gesehen, ab diesem Moment stand für mich fest, dass er nur diesen einen Zugnamen kennt und dieser eben auf jeden zutreffen muss. Seine Mutter hat es ihm sowieso geglaubt.

Augustinus hat in der Grundschule offenbar auch einige Wörter Englisch gelernt, weil er in einem reichlich bebilderten Buch geblättert hat und die Begriffe vorgelesen hat. Naja, er hat es versucht. Lustig war nur, dass seine Mutter sehr klug klingend die Aussprache verbessert hat, dabei aber selbst Fehler gemacht hat. Jedenfalls hat Augustinus dann gezählt wie ein Weltmeister. Auf Englisch.

Eigentlich wollte ich im Zug noch eine Runde schlafen, aber die Stunde nach Nürnberg ist so schnell vergangen, 20 Minuten vorher haben sich Mutter und Sohn dann beruhigt und es war richtig langweilig. Aber zu spät zum Schlafen.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

Ein Kommentar

  1. Du Glücklicher.

    Ich musste auf der Rückfahrt von Venedig im Katamaran für 2,5h ein antiautoritär erzogenes Kind ertragen.
    Hat die ganze Fahrt ohne größere Pausen die Lebensgeschichte von seiner blöden Katze erzählt.

    Als sich dank Seegang ca. 20% der Leute übergeben mussten, erzählte er LAUT von dem Versuch auf einer Kreuzfahrt durch möglichst buntes Essen verschiedenfarbigen Auswurf zu erzeugen.

    Sein scheiß Vater hat ihn nur einmal zur Räson gebracht. Leider für nur ca. 5 Minuten.

    Dagegen ist Augustinus der Li-La-Launebär des Zugfahrens!

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