Ein Abend mit Florian Silbereisen

Diese Gestik, diese Mimik, dieses Verhalten. Florian Silbereisen ist drei Jahre jünger als ich, verhält sich aber im Fernsehen so, als wäre er 30 Jahre älter. Ausladende Bewegungen mit den Armen, beim Singen die bestimmte Vorwärtsbewegung mit dem rechten, abgewinkelten Arm, dabei der kleine angedeutete Schritt nach vorne, bei dem aber der Fuß in der Luft verweilt oder nach vorne austritt, das Wippen mit dem Kopf, auf dem das wallende Haar adrett sitzt und dazu das aufgesetzte Dauergrinsen, das die inzwischen völlig aus dem Häuschen geratene Seniorenhorde aus dem Osten toben lässt. Die Stadthalle Chemnitz steht Kopf und ich schaue mir das jetzt an, ohne Vorspulen.

Kürzlich wurde der Flori für seinen schlechten Kleiderstil „ausgezeichnet“ und zum schlechtangezogensten Mann im deutschen Fernsehen gekürt. Das musste er natürlich am Samstag beim „Herbstfest der Volksmusik“ kommentieren, und wie witzig er das gemacht hat, er ist halt so natürlich. Ein Zuschauer, der Gä’ard aus Gämmnitz, wurde erst gefragt, ob er schon mal für seinen Kleidungsstil kritisiert worden sei und als er verneinte, nahm das der Flori zum Anlass, mit dem Zuschauer zu tauschen, schließlich ist Gerd bisher immer gelobt worden. Der Anzug ist dem Flori viel zu groß undso darf das Publikum schon wieder toben, weil der nette Flori im Anzug auch noch Geldbeutel, Brillenetui und Handy findet. Der Hammer.

Außenreporter Toni, ein halbwüchsiger Ossi mit ausgeprägtem Sachsen-Dialekt, wartet mit Mikrophon vor der Halle am roten Teppich auf Alexandra von den Geschwistern Hofmann – ach die! -, die ihr Baby mitbringt. Wie süß!

Eine 13-jährige Französin namens Marielle darf mit Schmachtblick und leischte Akzent auf eine Bett sitzend von die große Liebe singen (und davon, dass wieder nichts passiert ist), die Omas und Opas klatschen begeistert mit.

Das MDR-Showballett ist viel zu selten im Fernsehen zu sehen, großartig, alles ganz wie früher, fehlen nur noch die Kessler-Zwillinge. Der Kinderchor, die Schöneberger Sängerknaben sollte schließlich mit dem süßen Schlaflied selbst den letzten griesgrämigen alleinstehenden Rentner tief im Herzen berührt haben, der grinsende Mann am Schimmel-Klavier sieht aus wie Richard Clyderman für Arme, das Publikum flippt trotzdem aus. Ups, es ist sogar Richard Clyderman, ich hätte ihn als solchen echt nicht erkannt.

Der kesse Toni wird wieder zugeschalten, der wartet immer noch auf Alexandra, Dietmar und das Baby. Endlich kommt das Auto und das junge Glück wird in die Halle geleitet, vorher darf der Dööni noch fragen, wie es söö als Vaddi ist.

Weiter geht es mit einer lustigen Überraschung. Roman Knoblauch, der Überraschungsreporter (heißt der echt so?), wartet an einer Tankstelle in Chemnitz auf Helene Fischer und ihren eingeweihten Manager. Mei, wie liab. Und so natürlich! Roman nimmt Helene mit in die Stadthalle, die ist immer noch ganz perplex, der Durchfalltipp an den Manager sorgt für helle Begeisterung und Helene weiß immer noch nicht, was los ist.

Bei den Flippers flippe selbst ich aus. Manfred, Olaf und Bernd, alle drei könnten auch Gerbauchtwagen verkaufen, haben sich in 20 Jahren nicht verändert und „Schlagzeuger“ Manfred haut wie immer auf sein Elektro-Schlagzeug ohne Kabel, nur trägt er anders als früher nun eine Brille. Die Modekritik ist erneut Thema, es werden Fotomontagen eingeblendet, auf denen Herrn Silbereisens reizendes Antlitz (!) auf die Körper anderer Stars gesetzt wurde. Einfach der absolute Reißer. Nun will er Anzüge der Flippers anziehen… Gleich noch ein Reißer. Nach einem Trällerauftritt einer Dame in Pink kommen die Flippers nochmal in Glitzeranzügen, zusätzlich kommt auch der Flori mit Glitzerfummel und Minipli-Perücke auf die Bühne und darf ebenfalls auf ein Original Flippers-Schlagzeug eindreschen.

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Die Halle tobt, da kommen die Geschwister Hofmann zum Abkühlen gerade recht, sie dürfen das Baby von Alexandra musikalisch begrüßen. Wie rührend, anschließend gratuliert auch der Flori und dann wird kollektiv das Baby angeschaut. Das schläft. Bezaubernd. Und Dietmar ischt drrrbäschte Papa aufdrr ganze Welt, ich glau’ub, die kommen aus dem Allgäu. Beim MDR darf der Ossi-Sandmann natürlich nicht fehlen und die Geschwister Hofmann trällern für den armen Daniel auch noch Weißt du, wie viel Sternlein stehen, Lalelu und Guten Abend, gute Nacht. Jetzt muss sogar ich weinen. Aber vor lauter Fremdschämen. Hoffentlich ist es ein Schreikind!

Da kleene Dööni wartet inzwischen auf Helene Fischer und ist so aufgeregt, dass er fast in die Hose macht, die Massen johlen. Dööni bekommt von Helene ein Busserl und ist noch aufgeregter. Der Latino-Onkel Semino Rossi signiert in Chemnitz seine neue CD, es herrsche ein Andrang wie sonst nur bei Harry Potter, stellt Flori fest. Mir ist schlecht, das war definitv zu viel Schmalz, Norma Jean auf Spanisch, gesungen vor einem Bild von Lady Di, dazu ein endloser Schmachtblick. Im Publikum werden begeistert Feuerzeuge hochgehalten.

Nach einer Tanzeinlage kommt jetzt der Hansi, der größte Star von allen, der Hansi Hinterseer. Dieses Zahnpasta-Grinsen, das wallende blonde Haar, der Schmachtblick… So könnte der Flori auch mal aussehen. Machen die Background-Sängerinnen das freiwillig? Die sehen so nämlich ganz nett aus?! Gleich nach dem Hansi kommt Engelbert. Der Knabe ist auch auch alt geworden und sieht ein bisschen aus wie Elvis am Schluss, das Playback von The Spanisch Night Is Over und Please Release Me klingt aber wie früher, die Halle tobt.

Endlich wird Helene Fischer überrascht: Sie erhält vom lieben Flori ihre erste goldene CD und ist total gerührt. Nach dem Auftritt von der Helene steht die Halle Kopf und Flori hat noch eine Überraschung, eine zweite goldene CD. Das ist endgültig zu viel für die kleine Helene. Für mich auch, die hat 200.000 CDs verkauft.

Anschließend steppt der Bär in Chemnitz, es gibt – ganz spontan, versteht sich – Standing Ovations und – noch spontaner – eine Zugabe. Diese besteht in den letzten Takten des vorigen Liedes, ganz originell. Der Flori findet die Helene unglaublich und dann ist die Sendung auch schon vorbei. Schade eigentlich, am 01.Dezember gibt es das „Adventsfest der Volksmusik“, die Verabschiedung „Bleiben sie oder werden sie gesund“ gefällt mir besonders gut.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

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