Eine Zugfahrt ins Ruhrgebiet II

Wir hatten also mit dem netten Ehepaar einen Vierersitz mit Tisch. An dem Tisch links vom Gang, direkt neben mir, hatte sich eine Mutter mit Laura und Lukas breit gemacht, am Boden lag eine große Sporttasche mit der kompletten Ausrüstung: zwei Gameboys (Nintendo DS) zum Aufklappen, Salzletten, Süßigkeiten für die dicken Pummel, Bilderbücher, Bibi Blocksberg-Hefte, Malbücher. Mini-Tetrapaks (wenigstens etwas war clever), Schwipschwap, Fruchttiger und Pringles. Alles sehr ausgewogen und gesund. Diddlmütze, Baby-Born-Quartett und ein Verkehrsquartett, das Laura (die jüngere) natürlich in DEM Moment spielen wollte, als ihr Bruder darauf aufmerksam geworden war. Obst war auch in der Tasche, das mochte aber keiner, dann schon lieber Wasa Mjölk. Die Rheinstrecke interessierte schon gar nicht, vorsichtshalber wurde noch das Rollo runtergezogen, schließlich könnte die Sonne auf den Gameboy scheinen, der ununterbrochen an war. Lukas hat eine dicke Brille, passend zum Bauch. Er hatte einen Spongebob-Pulli an, den er aber bald auszog und ein Crazy-Frog-Shirt zum Vorschein kam. Auf dem Kopf noch die Obi-ist-das-schön-Käppi, tief ins Gesicht gezogen, sah Lukas sehr intelligent aus. Der Gameboy-Junge spielte wirklich die ganze Zeit Super Princess Peach und ich habe ihm mehr als einmal einen Kopfhörer gewünscht.

Zwischendurch ist er dann mal auf seinem Nachbarsitz herumgeklettert und hat unbemerkt seinen Fruchttiger weggekickt. K. hat ihn darauf aufmerksam gemacht, was sie schnell bereute. Fortan hat Lukas seinen Fruchttiger geschüttelt und sich anschließend immer den Druck aus der Flasche in den Mund gepustet und dabei dämlich geschaut.

Vielleicht ist genaus das die Erklärung, warum die Mutter sehr vertieft in ihren Elternratgeber war und dort nacheinander die Artikel „Unser Kind ist doch nicht dumm“ und „Coole Kids küsst man nicht“ (ihre Kinder kann sie getrost weiterhin küssen) gelesen hat. Dazwischen fand sich Werbung für Zappelin, die „sanfte Hilfe für starke Kinder“.

Plötzlich war dann große Aufregung. Laura hat auch Gameboy gespielt, auf dem Spielstand von Lukas, der sich nun mit seiner Quietschstimme erboste und versuchte, seiner Schwester den Gameboy zu entreißen. Nach langem Hin und Her konnte die Mutter den Streit schlichten und Lukas wurde angedroht, er bekäme gar keine Spiele mehr. Beide Kinder waren nun in ihre Spiele vertieft und zeigten ihrer Mutter abwechselnd ihre Highscores. Diese täuschte auch jedes Mal großes Interesse vor. Welch herrliche Geräuschkulisse: zwei piepsende und dudelnde Gameboys. Lukas hat fast ununterbrochen gegessen gefressen und sich mit einer Hand immer möglichst viele Salzletten in den Mund gestopft. Immer wieder beklagte er sich mit vollem Mund, dass alle Levels gelöscht wären und die alte Diskussion drohte wieder anzufangen. K. wollte ihn schlagen.

Schließlich war um deren Platz alles verwüstet. Der Boden voller Brösel und Bonbon-Papierli, der Aschenbecher (oder Tischmülleimer) am Überquellen, getreu dem Motto „Ein Tetrapak geht immer“. Anstrengend war das schon. Warum schafft es Nintendo eigentlich im Zeitalter polyphoner Klingeltöne und mp3 nicht, Sounds zu kreieren, die fortschrittlicher klingen als seinerzeit unser Gameboy-Sound?

P.S.: Rheinschiffer sind netter als Danebenschiffer, aber müssen sie ihr Schiff ausgerechnet „Hank“ nennen?

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

9 Kommentare

  1. Den wunderbaren Namen Hank benutzt mein Bruder als Nickname, seit er ein Hemd anhatte, auf dem ein Namensschild aufgedruckt war. Mit welchem Namen wohl…

  2. Und mein Sohn heißt auch Hank (aber nur mit Spitznamen), hat einen Game-Boy Nintendo DS, allerdings darf er nur in seinem Zimmer den Ton einschalten. Alles eine Sache der Erziehung. Hefte helfen da nicht, allein Zuckerbrot und Peitsche sind die Maßnahmen der Wahl …
    Und: Nicht alle Hanks sind Rhein- oder Danebenschiffer. Mein Hank ist ein Sahneschnittchen …

  3. Nintendo DS! Pft. Pfeif ich drauf! Nur der graue dicke Knochen ist der wahre Gameboy! Der Sound hat sich nicht geändert und wer braucht beim Tetris schon Farben!?

  4. … und wer spielt noch Tetris! Pah! Mario Kart ist angesagt, auf Doublescreen und möglichst mit Kumpel in Reichweite, damit rennmäßig duelliert werden kann! Und zwar Wireless! Wo lebst du denn? Die Kommunikation auf ein Minimum auf „hau ab da“ oder „scheiße ich überhol dich jetzt“ reduziert herrscht endlich Ruhe im Kinderzimmer!

  5. Tetris ist der Gameboy-Hammer! Dann noch F1-Race (zu viert) und Dynablaster, Wrestling und Marioland. Wireless! Pah! Wo bleibt da der direkte Draht zueinander (Dialogkabel)!

    Ich muss jetzt schlafen!

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