EMpörungsrituale auch beim Fußball

Damit alle etwas vom Fußballfest Europameisterschaft haben, müssen natürlich auch die Berufsempörten mit dem nötigen Stoff versorgt werden. Wenn Jogis Co-Trainer Hansi Flick nach einem Patentrezept gegen die Freistöße von Cristiano Ronaldo gefragt wird und darauf flapsig antwortet, man müsse sich dann halt einen Stahlhelm aufsetzen und sich groß machen, haben viel zu viele gleich wieder einen „Skandal“ gewittert und von einem Eklat gesprochen, weil Flick das auch noch in Danzig gesagt hat und die Polen sich dadurch zutiefst verletzt fühlen könnten. Lachhaft. Ausgerechnet die Polen, die bei jeder Gelegenheit Angela Merkel mit Nazi-Binde und/oder Hitlerbart abbilden oder Fußballer mit abgeschlagenen Köpfen abbilden. So empfindlich werden die sicher nicht sein, wahrscheinlich lachen die eher über die gutmenschliche deutsche Betroffen- und Empörtsheitskultur, dass um so einen Spruch ein solches Tamtam veranstaltet wird. Inzwischen hat sich Hansi Flick selbstverständlich für seinen schlimmen verbalen Aussetzer entschuldigt, Polen hat den Botschafter in Berlin nun doch nicht abgezogen. Wo bleibt der empörte Aufschrei wegen Mehmet Scholls Verhöhnung bettlägeriger Schwerstpflegefälle, als er über Mario Gomez lästerte?

Nachdem sich die Wogen geglättet haben, sind es nun die Schweden, die beim Training die Menschenrechte mit Füßen getreten haben sollen. Beim Ballhochhalten hat Ersatztorhüter Johan Wiland als erster den Ball fallen lassen, zur Strafe musste er sich an den Spielfeldrand knien und den Hintern blankziehen, um eine schöne Zielscheibe für die Teamkollegen abzugeben, die aus 20 Metern versucht haben, diesen zu treffen. Über diese fürchterliche Erniedrigung müssen sich sogar Menschenrechtler aufregen, so sehr, dass der schwedische Ministerpräsident dies auch kritisieren muss und die Vorbildfunktion der Spieler hinterfragt. Hat er gesehen, wie schlecht die Schweden getroffen haben? Wenn die Schweden heute Abend gegen England ähnlich schlecht aufs Tor schießen wie auf Wielands Popo (verlinkt ist ein Video dieser fürchterlichen und kaum erträglichen Erniedrigung), können sie nächste Woche mit ihrem Staatsoberhaupt daheim einen Menschenrechte-Workshop machen oder gegen eine AI-Auswahl zur Wiedergutmachung antreten. Aber ohne Foul und Wehtun.

Hat sich eigentlich schon jemand über Jogi Löws Mobbingattacke auf einen ukrainischen Balljungen vor dem Spiel gegen Holland beschwert? Unglaublich, diese HeulsusenKultur.

P.S.: In der Pressekonferenz des DFB hat Flick gerade „früh angreifen“, „Taktik“, „Sieg“, „Offensive“ und „verteidigen“ gesagt. Und das in Polen. Diese Kriegsmetaphorik ist ja unerträglich. Pressechef Harald Stenger muss den Hansi mal schulen, das geht doch so nicht weiter.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“