Es ist ein Jammer

Fast so alt wie mein Blog hier war dieser Bocksbeutel, den ich im Keller meiner Eltern gefunden habe. Getrunken haben sie ihn wahrscheinlich deshalb nie, weil es ein so feiner Tropfen ist – naja war – und weil sie dafür auf die passende Gelegenheit warten wollten. Gefunden habe ich den Bocksbeutel, da war er noch aufwändig eingepackt. Wegwerfen wollte ich ihn nicht, ohne es wenigstens gewagt zu haben, ihn zu trinken. Ob ich mich an einen Bocksbeutel von 1994 traue, weiß ich nicht. Vielleicht muss ich das mit Ralf tun. Ein 2014er und ein 2017er aus Karlstadt sind auch noch im Angebot.

Aber zurück zum Riesling vom Bürgerspital: Schon beim Entkorken – die Flasche war tatsächlich noch mit einem Naturkorken verschlossen – wurden meine Befürchtungen noch größer, weil der Kork unten dunkel war.

Säuerlich gerochen hat der Wein nicht, das hat mich kurzfristig zuversichtlicher gemacht, die Farbe war beim Einschenken kräftig gelb, fast schon ins Goldene gehend. Der Geruch war süßlich, aber nicht modrig oder erdig. Noch mehr Zuversicht.

Ich mache es kurz: Ein Weinglas (0,1l) habe ich vorsichtig nippend getrunken, der Geschmack war ungewöhnlich süß, aber nicht das, was ich von einem Riesling in irgendeiner Weise erwartet hätte. Ein Eiswein oder eine Trockenbeerenauslese gehen in eine – naja – ähnliche Richtung, allerdings sind die im Mund etwas öliger und fühlen sich geschmacklich besser an. War es nur der Kopf? Vor dem zweiten Gläschen habe ich dann doch einmal Dr. Google bemüht, was ich bei verdorbenem Wein zu erwarten habe. Der unnatürliche süße Geschmack war es dann aber, der auf den verschiedenen Seiten immer wieder auftauchte, so dass ich den feinen Bocksbeutel der Laudenbacher Kanalisation zuführen und einen Laudenbacher Wein öffnen musste.

Ein bisschen ist das leider auch ein Sinnbild für meinen Blog hier. Viel zu lang liegen gelassen, immer auf die richtige Gelegenheit gewartet und dann ist es plötzlich zu spät für all das, worüber ich mal bloggen wollte. Verdorben ist hier zwar nichts, aber wenn ich in älteren Artikeln stöbere, ist zwischen mancher Perle doch auch viel Abgestandenes dabei. Was mache ich? Entrümpeln oder einfach aufheben? Es dokumentiert ja doch auch bald 20 Jahre meines Lebens und war das soziale Netzwerk und der Kanal mit unwichtigen Nachrichten, bevor die großen Netzwerke das Bloggen in eine noch kleinere Nische gedrängt haben.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“