Etwas arg eindimensional, Frau Schmitt

Frau Schmitt von der Mainpost hat am 6.Oktober offenbar gedacht, sie haut mit ihrem Leitartikel „Werte gehören auf den Stundenplan“ mal so richtig einen raus und fordert den Lebenskunde-Unterricht, den es nun in Luxemberg statt des Religionsunterrichts gibt, auch für Deutschland. Schließlich sei der konfessionelle Unterricht veraltet, wie sie behauptet. Sie beruft sich auf eine – angeblich – repräsentative Umfrage des international aktiven Meinungsforschungsinstituts YouGov, das laut Wikipedia mit Online-Panel-Umfragen arbeitet und deren Ergebnis dann an die Bevölkerungsstruktur angepasst hochrechnet, wonach zwei Drittel die Abschaffung des Reli-Unterrichts forderten. Ob das Ergebnis dann so einfach repräsentativ ist, ich wage das zu bezweifeln, zumindest bei diesem Thema, da der Religionsunterricht doch sehr unterschiedlich in den Bundesländern angesehen ist und unterschiedlich durchgeführt wird. Teilweise gibt es ihn gar nicht als Pflichtfach.

Auf jeden Fall beginnt Frau Schmitt wunderbar platt wie mancher Zehntklässler seine Argumentation. Eigene Erfahrungen werden einfach mal verallgemeinert. Punkt. Nur weil ihr eigener Unterricht schlecht war, muss der auch heute veraltet sein, nur weil Reli nicht das Lieblingsfach ist, soll es abgeschafft werden? Ich wette, dass Mathematik noch sehr viel weniger Anhänger hat, für eine Abschaffung wird Frau Schmitt deswegen nicht plädieren, selbst wenn sie selbst negative Erfahrungen gemacht haben sollte. Ich hatte auch nicht immer tollen Reli-Unterricht, aus heutiger Sicht war der sicher auch mehr als veraltet. In der Tat ist Religion wie manches andere Nebenfach auch „eine willkommene Pause“, in der unsere gehetzten Schüler auch mal durchschnaufen können. Diese Pausen lässt sogar der Lehrplan mit den vorgeschlagenen Zeittafeln. Ist Luxemburg tatsächlich „einen Schritt weiter“? Ist das ein Fortschritt, dass dort der konfessionelle Unterricht abgeschafft wurde? Ich glaube nicht.

Ja, die Kirchen legen die Inhalte fest, ja, die Kirchen bestimmen auch, wer Religionsunterricht halten darf und wer nicht. Dies geschieht auch in enger Zusammenarbeit mit dem Staat, wenn ich hier für Bayern sprechen darf. Genau das ist auch gut so, dass der Freistaat hier die äußeren Bedingungen schafft, damit konfessioneller Unterricht stattfinden kann. Das Fach unterliegt der staatlichen Schulaufsicht. Der konfessionelle Unterricht ist getragen von Dialogbereitschaft und ökumenischer Gesinnung. Die Würzburger Synode von 1974 hat übrigens grundlegende Ziele festgelegt, die auch heute noch aktuell sind: In Übereinstimmung mit den Lehren der Kirche macht der RU mit der Wirklichkeit des Glaubens und der Botschaft vertraut und soll helfen, den Glauben denkend zu verantworten. Er soll – das dürfte für Frau Schmitt besonders interessant sein – „zu[r] persönliche[n] Entscheidung in Auseinandersetzung mit Konfessionen und Religionen, mit Weltanschauungen und Ideologien“ befähigen und „Verständnis und Toleranz gegenüber der Entscheidung anderer“ fördern. (alles zitiert von KMK, Seite 19). Dass gerade in einer Multikulti-Gesellschaft kein konfessioneller Unterricht mehr stattfinden soll, erschließt sich mir daher nicht. Wenn die eigene christliche Identität durch einen Wischiwaschi-Schnelldurchgang in „Lebenskunde“ oder „Leben und Gesellschaft“ nicht mehr klar ist, wie soll man dann anderen auf Augenhöhe begegnen können, die sehr genau wissen, was sie sind und warum sie das sind? Wenn man natürlich rein laizistisch gegen den Reli-Unterricht argumentieren muss, bitte. Aber dann darf man sich nicht wundern, wenn andere aggressiv in die Lücken stoßen, die so aufgetan werden. Ein Fortschritt ist das nicht, eher ein gefährlicher Rückschritt.

Interessant wird Frau Schmitts Argumentation, wenn zwei Drittel plötzlich gar nicht mehr so viele zu sein scheinen. Waren es vorher immerhin „mehr als zwei Drittel“, die laut Umfrage gegen Religionsunterricht sind, sind es jetzt „nur zwei Drittel“, die noch Christen sind. Eine ganze Menge, auch wenn nicht wenige sicherlich nicht sehr aktiv sind. Aber da Religionsunterricht auch „zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft“ (ebd.) motivieren soll, ist das doch eine prima Basis, wie ich finde.

Frau Schmitt erkennt die Aufgabe der Schule an, die Kinder „zu mündigen Menschen zu befähigen“, glaubt aber, dass der Kommunion- und Konfirmandenunterricht dafür ausreiche, wenn es um den eigenen Glauben gehe. Beim Brotbacken und Herumtollen in der dritten und sechsten Klasse habe ich das alles gelernt, darum bin ich heute Religionslehrer. Im Religionsdiscounter kann man sich dann munter bedienen, wenn die eigene religiöse Identität fehlt. Ein bisschen Kabala hier, ein bisschen was vom Judentum, von Christentum, ein wenig Zen-Meditation und Mandalas, jeder macht sich dann seine private Religion, wenn er es nur braucht.
Nicht wenige fordern einen staatlichen beaufsichtigten Religionsunterricht auch für Muslime, ich finde die Idee ebenfalls sehr gut. An staatlichen Universitäten würden die Lehrer ausgebildet und geprüft, ehe sie an den Schulen Dienst tun. Dort werden muslimische Kinder dann entsprechend unterrichtet, so dass auch sie selbst religiöse Identität finden können, ohne von Menschen gesteuert und negativ beeinflusst zu werden, die sich bewusst staatlicher Kontrolle entziehen. Ist das dann ein Fortschritt?

Wenn Frau Schmitt in der heutigen Zeit anzweifelt, dass angesichts der Flüchtlingskrise Religion noch konfessionell unterrichtet werden soll, sitzt sie aber einem gewaltigen Irrtum auf: Es sei ein Fehler, „die eigene Religion [nur unter Gleichgesinnten] in den Blick zu nehmen“. Doch, genau das ist nötig, nötiger denn je, möchte ich behaupten. Um anderen sagen zu können, was ich als katholischer Christ glaube, was ein anderer als evangelischer Christ glaubt, muss ich genauer darüber Bescheid wissen, ohne in einem Allgemeinfach, das dann offenbar per se interessanter zu sein hat als bisheriger konfessioneller Unterricht, ein oberflächliches Potpurri davon geboten zu bekommen. Da soll dann ein Lehrer alles unterrichten, immer aus der Außenperspektive?

Ja, wir sprechen im RU über den Islam, über das Judentum, über Hinduismus, Buddhismus, über Sekten und Religionslose und Religionskritiker. Aus der Sicht von Christen. Ja. Ist das so falsch? Gerade jetzt ist das wichtig. Und wenn Frau Schmitt glaubt, im gemeinsamen Unterricht könnten sich Kinder verschiedener Religionen begegnen, tun sie das auch, eine ganze Woche lang, aber eben nicht während der zwei Stunden Religionsunterricht. Soll einem ebenso pubertierenden Kind plötzlich aufgebürdet werden, als Vertreter für seine ganze Religion zu sprechen? Genau das darf nicht passieren im interkulturellen Unterricht. Solche Kinder können von ihrer eigenen religiösen Praxis berichten, mehr aber auch nicht.

Frau Schmitt argumentiert sehr naiv, wenn so ernsthaft Fanatismus begegnet werden soll. Woran soll man den denn erkennen, wenn man selbst nicht mehr über die eigene Religion weiß als über die andere. Ein immer selbstbewusster auftretender Islam freut sich auf eine Kultur, die nach und nach ihr eigenes Fundament aufgeben möchte, weil Christ-Sein heutzutage irgendwie anstößig zu sein scheint.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“