Fragwürdige Bürgerentscheide

Die Würzburger machen das basisdemokratische Instrument „Bürgerentscheid“ mehr und mehr lächerlich und führen dieses ad absurdum, weil Wahlbeteiligung und Abstimmungsergebnis offenkundig zeigen, dass hier wenigen Eifrigen zu viel Macht in die Hand gegeben werden kann, was in der Folge Gelder kostet, die das Steuergeld von viel Menschen auffressen. Diese könnten natürlich abstimmen, aber ich habe vollstes Verständnis, wenn nicht jeder eifrig ins Wahllokal rennt, um für oder gegen das nächstes Querulanten-Anliegen zu stimmen.

Aktuelles Beispiel: Den Unterstützern der Initiative „Rettet das MOZ!“ ist es gelungen, gerade mal eine Hand voll Menschen mehr als das nötige Quorum zu mobilisieren, um den alten Kasten zwischen Hofstraße, Maxstraße und Theaterstraße zu erhalten. Mit „Nutzungsmöglichkeiten“ konnten sie noch nicht einmal ein Konzept vorlegen, wie es der Stadtrat überparteilich vertreten hat, im Gegenteil: Ein „Welterbeinformationszentrum“ solle dort entstehen, eine „attraktive Empfangsmöglichkeit für Tourismus“, „eine Erinnerungsstätte für die Zerstörung und den Wiederaufbau Würzburgs“, „Räume für kulturelle und künstlerische Initiativen“, eine „Gastronomie mit Gartenlokal“ (alle Zitate sind dem Flyer „Darum ist die Mozartschule erhaltenswert“ entnommen). Alles klingt, als wäre es dem Brainstorming einer besseren Mittelstufenklasse entsprungen, die sich Gedanken gemacht hat, wie ein sanierungsbedürftiges altes Gebäude genutzt werden könnte, ohne dass sich nur einer der Jugendlichen mit der Finanzierung befassen müsste. So läuft das meistens bei einer steigernden Erörterung, einen viel weiter reichenden Horizont erwartet auch noch niemand von 14- oder 15-jährigen Gymnasiasten. Tolle Sachen ausdenken, das funktioniert in der Schule immer ganz großartig. Fünftklässler haben meist noch viel großartigere Ideen, weil die ihrer Phantasie freien Lauf lassen.

Dumm nur, dass diese Ideen nicht dem Brainstorming einer Deutschstunde entstammen und im Nachhinein keine Folgeschäden verursachen, die Bürgerinitiative, die unbedingt den hässlichen alten Schulbau erhalten musste, hatte heute Erfolg, die Stadt bzw. der Stadtrat ist jetzt verpflichtet, ein Nutzungskonzept zu entwerfen. Für die ganzen vorgeschlagenen Phantastereien wird kein Geld da sein, schließlich müsste das altehrwürdige MOZ dann doch entkernt und saniert werden, auch wenn SPD-Stadträte immer wieder eifrig verlauten ließen, dass die 27 Millionen Euro viel zu hoch gegriffen seien und der Erhalt „DIE CHANCE SCHLECHTHIN“ für Würzburg sei. Selbst die Hälfte wäre ein Witz, weil dieses Geld an anderer Stelle dringend fehlen würde. Den Würzburger Schulen fehlt schon jetzt dringend notwendiges Geld, holen wir also „Kultur ins Zentrum“. Noch so ein wenig greifbarer, aber offenbar sehr schlagkräftiger Slogan. Egal, wir sind dagegen, wir stimmen ab, und am Ende sollen doch die anderen bezahlen. Wir haben ein Zeichen gesetzt, wofür eigentlich?

Ich bin der Meinung, heute wurde wieder einmal ein Zeichen gesetzt, dass die Bürgerentscheide in ihrer jetzigen Form ein Irrsinn sind. 19% der Wahlberechtigten sind überhaupt in die Wahllokale gegangen, was beweist, dass der Käse nur jeden Fünften hier wirklich interessiert hat. Die Relevanz eines solchen Entscheids hat aber eine in meinen Augen viel zu große Tragweite. Ein paar Leute mehr als die benötigten 10253 – genau sind es 10452 – haben für den Erhalt gestimmt und nehmen jetzt eine ganze Stadtverwaltung in den Schwitzkasten und verhindern, dass dort ein Investor bauen kann. Panikmache und Schwarzmalerei kommen beim Würzburger immer gut an. Fällt noch das Wort „Kommerz“, horchen auch die auswärtigen Studenten auf. Nicht die Würzburger Bürger haben abgestimmt, sondern die, die damit irgendeine persönliche Verbindung haben. Nichts anderes geschah beim Platz’schen Garten oder beim A3-Ausbau. Eine lächerlich geringe Wahlbeteiligung. Großartig, die nächste Chance vertan. Typisch Würzburg! Beabsichtigt war bei der Einführung sicherlich viel, aber nicht das.

Mich nervt dieser notorische Stillstand in meiner Heimatstadt, mich nervt dieser Missbrauch eines an sich sehr wichtigen Instruments. Wenn dieses wirklich nur noch genutzt wird, um größere Bauvorhaben zu verhindern, dann Gute Nacht, Marie.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“