Fragwürdige Auffassung von Schulpflicht

Die Schulen haben insbesondere die Aufgabe, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln und Fähigkeiten zu entwickeln, zu selbständigem Urteil und eigenverantwortlichem Handeln zu befähigen, zu verantwortlichem Gebrauch der Freiheit, zu Toleranz, friedlicher Gesinnung und Achtung vor anderen Menschen zu erziehen, zur Anerkennung kultureller und religiöser Werte zu erziehen, Kenntnisse von Geschichte, Kultur, Tradition und Brauchtum unter besonderer Berücksichtigung Bayerns zu vermitteln und die Liebe zur Heimat zu wecken, zur Förderung des europäischen Bewusstseins beizutragen, im Geist der Völkerverständigung zu erziehen, die Bereitschaft zum Einsatz für den freiheitlichdemokratischen und sozialen Rechtsstaat und zu seiner Verteidigung nach innen und außen zu fördern, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, die Schülerinnen und Schüler zur gleichberechtigten Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten in Familie, Staat und Gesellschaft zu befähigen, insbesondere Buben und junge Männer zu ermutigen, ihre künftige Vaterrolle verantwortlich anzunehmen sowie Familien- und Hausarbeit partnerschaftlich zu teilen, auf Arbeitswelt und Beruf vorzubereiten, in der Berufswahl zu unterstützen und dabei insbesondere Mädchen und Frauen zu ermutigen, ihr Berufsspektrum zu erweitern, Verantwortungsbewusstsein für die Umwelt zu wecken.

Soweit Artikel 2 des BayEUG, des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen. Als oberste Bildungsziele nennt Artikel 1 Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbereitschaft, diese stehen so auch in der Bayerischen Verfassung (Art. 131). Im Rahmen des sogenannten Bildungsstreiks haben nun in der letzten Woche zahlreiche Schüler des Wirsberg-Gymnasiums „gestreikt“ und über zwei Stunden Unterricht versäumt, obwohl vorher ausdrücklich ein Verbot ausgesprochen wurde, an der Demonstration während der Unterrichtszeit teilzunehmen. Die Schüler haben geschwänzt, sind zur Demo und haben als Konsequenz nun einen verschärften Verweis bekommen.

Frau Urbon, die den oben verlinkten Mainpost-Artikel geschrieben hat, musste in einem Kommentar auch ihren eigenen Standpunkt kundtun und bläst damit leider ins gleiche Horn wie die meisten der Kommentatoren, die die Kinder in ihren Grundrechten eingeschränkt und eine Erziehung zur Duckmäuserei sehen wollen. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema wage ich den meisten abzusprechen.

Niemand verbietet Kindern zu demonstrieren und für ihre eigene Meinung einzustehen, im Gegenteil, sie werden dazu sogar ermuntert, aber Unterrichtszeit ist nun mal Unterrichtszeit und die Eltern wissen ihre Kinder in dieser Zeit in der Obhut der Schule, wir haben in dieser Zeit schließlich auch die Aufsichtspflicht. Ich möchte mal die gleichen Eltern und Kommentatoren, die sich jetzt aufregen, dass Schulleiter Macht ausüben und die Kinder auf ihrem Weg zur Mündigkeit von der Schule gehindert sehen, erleben, wenn einem Schüler, der von seinem nicht vorhandenen Streikrecht Gebrauch macht und während der Schulzeit auf Bildungsdemos herumturnt, etwas passiert. Sollte der Schulleiter stillschweigend geduldet haben, dass die Kinder das Schulgelände verlassen, rennen ihm die gleichen Leute wohl die Tür ein und fragen, dann zu Recht, warum Schüler unbeaufsichtigt sind, obwohl sie in der Schule sein sollten. Frau Urbon macht dann vielleicht auch eine Story daraus und stellt den Schulleiter oder den Lehrer an den Mainpost-Pranger. Dass ihrer Meinung nach Duckmäuser herangezogen würden, zeigt doch auch das mangelnde Wissen, weil gerade die Aufgaben der Schule jedem Lehrer eingetrichtert werden und unser Unterricht in diesem Sinne gehalten wird. Niemandem wird seine Meinung verboten, aber in der Vorbereitung auf das Leben gehören die ausgesprochenen Strafen eben auch dazu, dass Konsequenzen aus einem Fehlverhalten hingenommen werden müssen. Oder sollen die Kinder dazu erzogen werden, ihre Pflichten zu vernachlässigen, weil sie Rechte haben? Vielleicht sollten sich das manche Eltern auch mal bewusst machen. Verantwortungsvoll haben diese Schüler nicht gehandelt, wenn jetzt nur Schule und Schulleitung böse ist, zeigt das, wie einseitig manche denken und denken wollen.

Ganz nebenbei bemerkt möchte ich auch die Frage in den Raum werfen, wie viele Neuntklässler (ganz gleich, an welcher Schule) eine reflektierte Meinung zu Studiengebühren haben (außer, dass sie dagegen sind), wer von den Missständen durch den Bologna-Prozess weiß und sich mit der Bildungspolitik auskennt. Da geht es dann wohl eher um zwei Stunden ohne Schule, ohne hier irgein Vor-Urteil zu fällen. Wie man schulintern gegen schulspezifische Mängel protestieren und trotzdem Aufsehen erregen kann, haben die Schüler vom Humboldt-Gymnasium in Schweinfurt vorgemacht.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

3 Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel. Komisch, dass v.a. 9.-Klässler an der Demo teilnehmen und so ihre Bedenken über ihre berufliche Zukunft ausdrücken. Bei Schülern dieses Alters reicht die Sorge über die eigene Zukunft in der Regel nicht darüber hinaus, in der nächsten Stunde wegen nicht gemachter Hausaufgaben erwischt zu werden.

    Somit haben besagte Schüler ja zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen 😉

    Über die Folgen eines VV für ihre schulische Laufbahn haben sie sich allerdings weniger Gedanken gemacht…

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