Geschichtsträchtiges Datum

„Geboren am 9.November ’89 – Die Kinder des Mauerfalls werden volljährig“, mit diesem Titel hat der Spiegel das aktuelle Heft (45/2007) versehen und widmet sich darin ausführlich dem Fall der Mauer vor 18 Jahren. 18 Jahre ist das schon wieder her. Es ist ganz bestimmt nicht sehr viel Gold und noch weniger Glanz, wenn man mal hinter die Fassaden der Touristenmagnete blickt, da steht man sehr schnell wieder mitten in der DDR, die es seit knapp 17 Jahren nicht mehr gibt, aber dass sich 20% die Mauer wieder wünschen, ist doch ein bisschen rückständig. Hier Freiheit, dort Unterdrückung, alles nur durch eine Mauer und einen Todesstreifen getrennt? Das kann doch keiner mehr ernsthaft wollen, auch wenn die Einheit in vielen Köpfen noch lange nicht vollzogen ist. Der Mauerfall ist volljährig, die Freude darüber aber noch lange nicht erwachsen. Was für schwülstige Worte an diesem sehr geschichtsträchtigen Datum, wenn wir mal auf die deutsche Geschichte blicken:

1918 wird an diesem Tag die Abdankung des Kaisers Wilhelm II. verkündet, Friedrich Ebert, dem Erfinder der gleichnamigen Würzburger Straße, werden die Amtsgeschäfte übertragen. Philipp Scheidemann rief von einem Erkerfenster des Berliner Reichstages die Deutsche Republik aus, etwa zur gleichen Tat verkündete Karl Liebknecht am Berliner Schloss die Deutsche Räterepublik nach dem Vorbild der Russichen Sowjetrepublik.

1923 wurde an diesem Tag Adolf Hitlers und Erich Ludendorffs Putsch niedergeschlagen. Der Marsch zur Feldherrenhalle wurde von der Polizei gestoppt, Ludendorff sofort verhaftet, Hitler wenige Tage später, die NSDAP verboten. Aus heutiger Sicht beinahe unbegreiflich, dass die gleichen Leute keine zehn Jahre später an der Macht waren und Deutschland ins Verderben führen konnten.

1938, die Reichspogromnacht (früher auch Reichskristallnacht), der Höhepunkt der Judenhetze im November 1938. Organisiert wurden Juden verprügelt, erschossen und verschleppt, jüdischer Besitz zerstört und Synagogen angezündet. Ein Datum, das verhindert hat, das der 9.November unser Nationalfeiertag wurde, auch wenn ich mich im Rahmen meiner Abiturprüfung vor zehn Jahren für diesen Tag ausgesprochen habe. Man könne an diesem Tag nicht „feiern“, hieß es später, wenn ich aber an den Staatsakt an jedem 3.Oktober denke, könnte in diesem Rahmen umso mehr der Geschichte gedacht werden. Aber egal, mein Meinung war damals die Falsche (und wurde auch so bewertet), wir feiern am 3.Oktober dafür alle umso ausgelassener.

1989 fiel am 9.November nach über 28 Jahren die Mauer, die Deutschland seit dem 13.August 1961 beinahe unüberwindbar teilte. Die Pressekonferenz von Günter Schabowski, in der er eher versehentlich die sofortige innerdeutsche Grenzöffnung mitteilte, habe ich erst diese Woche wieder gesehen. Damals wie heute beeindruckend, auch im Hinblick auf die Reaktionen der Grenzschützer, die noch gar nichts wussten, aber instinktiv das Richtige taten und die Leute gehen ließen. Schon faszinierend, dass wir die Geschichte damals live im Fernsehen gesehen haben.

Warum nur fallen Befragungen junger Leute zur geschichtlichen Allgemeinbildung immer so haarsträubend schlecht aus?

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Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

4 Kommentare

  1. Was machst heut abend? Bin ab 20 Uhr in der großen Riemenschneider Turnhalle, mach Basketball Kampfgericht…
    noch net fit genug zum selber spielen…

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