Ignorant oder dumm oder alles beide, Herr Neumaier?

Nikolaus Neumaiers ist Redaktionsleiter für das Ressort Landespolitik im Hörfunk beim Bayerischen Rundfunk. Sein Bayernchronik-Kommentar „Aufstand der Privilegierten“ vom 31.01.2014, der sich mit der vorgeschlagenen längeren Präsenz von Lehrern an Schulen und dem damit einhergehenden Widerstand der Lehrerverbände beschäftigt, ist von vorne bis hinten eine bodenlose Unverschämtheit, dem jeder Stil und jedes Niveau fehlt, weil er einen ganzen Berufsstand diffamiert.

Neumaiers Kommentar bewegt sich auf unterstem Stammtischniveau, wo auch jeder über Schule zu reden vermag, schließlich war ja jeder selbst mal auf der Schule und weiß daher Bescheid. Ein Freibrief, mitreden zu können. Über alles. Glaubt er. Entweder hat er einen Lehrer in seinem Bekanntenkreis und weiß, wie viel der arbeitet, dann ist sein Kommentar erst recht einfach nur ignorant. Oder aber, und das halte ich für viel wahrscheinlicher, er hat überhaupt keine Ahnung vom Arbeitsalltag eines Lehrers und schnappt halt auf, was ein Journalist eben landläufig an Negativem aufschnappen kann. Vielleicht wohnt ja auch tatsächlich ein Stinkstiefel in seiner Nachbarschaft, der wirklich Neumaiers eindimensionaler Sichtweise entspricht, weil er nichts tut, fleißig A14 kassiert und so nicht nur berechtigt den Prass seiner Kollegen auf sich zieht. Vielleicht wohnt ja in seiner netten Reihenhaussiedlung auch ein Lehrer, der es wagt, im Sommer nachmittags auf seiner Terrasse zu korrigieren. Herr Neumaier sieht dann aber natürlich nur den Oberstudienrat, der in T-Shirt und kurzer Hose in der Sonne sitzt, während er sich gescheite Sachen über die bayerische Landespolitik ausdenkt. Nachmittags. An einem Werktag. Ahnung hat er deshalb aber noch lange nicht, im Gegenteil: Er weiß, dass viele Lehrer nur bis eins an der Schule sind, danach fahren sie ja nach Hause und haben in seinen Augen frei. Was sie dort arbeiten, entzieht sich offenbar seiner Vorstellungskraft und auch der seiner Stammtischbrüder, die dem Kommentar Beifall klatschen. Schließlich bereitet „der Lehrer“ ja eh alles nur einmal vor und muss danach nie wieder was für die Schule tun. Unterrichtsvorbereitung daher: geschenkt. Das bisschen Korrigieren, das noch übrig bleibt, sitzt sich doch dann für den „Herr[n] Deutschlehrer oder die Frau Lateinlehrerin“, wie er herabblickend distanziert schreibt, auf einer Arschbacke ab. Und die Ferien sollten in Neumaiers Augen eh für jeden Lehrer am besten reine Arbeitszeit sein, damit diese faulen Säcke nicht auch noch mehr Urlaub machen als er. Da hat er scheinbar einst dem Gazprom-Gerd gut zugehört. „Die Privilegierten“ nennt er die Lehrer, ganz so, als ob er als Unterprivilegierter seinen ganz persönlichen Neid-Kampf austragen muss. So, als ob er im persönlichen Kampf dem Lehrer seines Sprösslings eins auswischen will und so, als ob er selbst zu doof für das Staatsexamen war und jetzt missmutig auf die schaut, die mit viel Herzblut und Engagement in diesem schönen Beruf arbeiten und tatsächlich auch noch Spaß dabei haben, trotz Stress, trotz Arbeit.

Und genau für die ist schon der erste Satz eine Unverschämtheit.

Mach einen Vorschlag, der von Lehrern etwas mehr Engagement fordert und Du wirst Sturm ernten.

Der Vorschlag innerhalb einer Arbeitsgruppe der CSU-Fraktion forderte mehr Präsenz der Lehrer an der Schule, der bpv und der BLLV haben hiergegen energisch protestiert. Was Herr Neumaier also als eine Forderung nach mehr Engagement betrachtet, wäre ein tiefer Eingriff in unsere Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, von denen Neumaier offenbar keinen Plan hat. Die CSU reagiere nur auf eine gesellschaftliche Entwicklung, da immer mehr Kinder in Ganztagsschulen betreut würden und beide Elternteile berufstätig seien. Da ist es für den klugscheißenden BR-Kommentator also nur logisch, dass wir Lehrer länger an der Schule bleiben. Wie wir dort unsere Arbeit machen, die oft größtenteils zu Hause getan werden muss, das erschließt sich Meister Alleswisser nicht. Wieso auch? Platte Verleumdungen über unseren Beruf lassen sich doch viel besser weiterverbreiten, entspricht es doch dem gewöhnlichen Klischee, an dem so viel dran ist wie am Klischee vom Journalisten, der sich mit seinem Presseausweis überall durchfüttern lässt..

Auch seine dümmliche Frage, warum eigentlich unterrichtsfreie Nachmittage unbedingt für die häusliche Vor- und Nachbereitung gebraucht würden, zeigt, dass Herr Neumaier keine Ahnung hat, und davon sogar sehr viel: Wenn er nur eine Woche tauschen müsste, nicht nur ich biete es ihm gerne an, würde er wahrscheinlich als erster jammern, dass er so nicht arbeiten könne, und über seinen Twitter-Account verbreiten, dass er in seine miefige BR-Bude zurück möchte. Oder auf seine Terrasse? Unverschämt schiebt er nach, dass Lehrer wohl Angst hätten, dass man ihnen auf die Finger schaue. Wobei denn? Was für ein Blödsinn! Korrekturen werden respiziert. Herr Neumaier war wahrscheinlich noch nie in einem Lehrerzimmer und hat wahrscheinlich auch noch nie die Arbeitsplätzchen gesehen, die Lehrern dort zur Verfügung stehen. Es gibt Schulen, da gibt es nicht einmal für jeden Kollegen einen eigenen Platz im Lehrerzimmer, sondern mehrere teilen sich den Stuhl an dem nicht einmal einen Meter breiten Platz, wo wir dann unsere Freistunden verbringen. Und genau dort sollen wir noch arbeiten und korrigieren? Wie er sich das vorstellt, dass die Schule ausschließlicher Arbeitsplatz eines Lehrers wird, weiß der überaus gescheite Mensch aber selbst nicht. Das hieße ja, jeder hätte sein Arbeitszimmer, seinen Schreibtisch, seinen eigenen Rechner, sein Bücherregal und seine Arbeits- und Unterrichtsmaterialien. Alles bezahlt von seinem Steuergeld, nicht aus der Tasche des Lehrers. Das hieße aber auch, dass der Lehrer in diesem Arbeitszimmer seine Ruhe hat, um stundenlang zu korrigieren, um danach noch den Unterricht vorzubereiten, was ebenfalls viel Zeit in Anspruch nimmt, selbst wenn man noch so viele Begleitwerke kauft. Ebenfalls aus eigener Tasche. Utopisch. Vor allem, weil ein Unterrichtstag anstrengend ist und die längere Mittagspause daheim notwendig ist, um anschließend wieder frisch an den Schreibtisch zu gehen und dort zu sitzen, wenn Herr Neumaier längst die Abendschau im BR genießt. Für ihn aber ganz leicht, Lehrer müssten sich wegen Lehrerbüros „keine so großen Sorgen machen“, es müsse nur „hier und dort zugebaut werden“, schwadroniert er und gerät immer tiefer in den Strudel der anmaßenden Unwissenheit, der unsere Arbeit mehr als verunglimpft. Ich arbeite an einer mittelgroßen Schule, wir sind knapp 50 Lehrer in Vollzeit, d.h. wir bräuchten ebensoviele vollausgestattete Büros. Ein netter Neubau wäre nötig, oder aber ein hübsches zusätzliches Geschoss, natürlich dann unter dem Dach und ohne Klimaanlage. Wie Herr Neumaier das finanzieren will? Das ist ihm doch egal. Schließlich legt er ja nach: Die Großraumbüros nennt er als Beispiel, was andere dort mühelos schaffen, können Lehrer offenbar nicht im Lehrerzimmer. Richtig, was für ein dummes Geschwätz! Da sind wir aber wieder an dem Punkt, dass er einen solchen Raum noch nie selbst gesehen haben kann, da er sonst nicht einen solchen Blödsinn verzapfen würde. Und in einem Klassenzimmer lässt es sich auch nicht einfach mal arbeiten, da hier nicht nur der Internetanschluss fehlt, meine Materialien nicht einfach in einem Klassenzimmer rumstehen und die dortigen Pulte sicher nicht zum mehrstündigen Arbeiten einladen.

Mit der Dauerpräsenz in der Schule hätten es dann natürlich auch Eltern leichter, sich über die Noten ihrer Kinder zu beschweren, schließlich sollen in der Arbeitszeit am Nachmittag in der Schule – im zusammengesponnenen Lehrerbüro – auch noch Elterngespräche geführt werden, da diese ja sonst Urlaub nehmen müssten, um, wie er hochnäsig schreibt, den „Herr Deutschlehrer oder die Frau Lateinlehrerin“ zu sprechen, die nur am Vormittag Zeit haben. Und ganz bestimmt, so palavert Herr Neumaier, bleiben Probleme so hinter den Schulmauern und werden nicht mit nach Hause genommen. Auf welche jungen Lehrer in Ganztagsschulen er sich dabei beruft, weiß wohl nur er selbst.

Aber wenn wir daheim arbeiten, sieht das ein bornierter Mensch mit seinen Vorurteilen über Lehrer nicht. Er weiß dann lediglich, dass es auf dem Tennisplatz und am Badesee schöner ist. Natürlich will er auch Abschlussprüfungen erst in die letzte Schulwoche vor den Ferien legen, damit es weniger Leerlauf gäbe. Wir könnten ja in der ersten Woche noch korrigieren und dann erst den wohlverdienten Urlaub machen. Die Ergebnisse bekommen Schüler dann per Email und die Zeugnisse mit der Post? Herr Neumaier hat noch keine Kinder erlebt, die kurz vor den Ferien mürb und ferienreif sind und genau diesen Leerlauf rund um die Konferenzen, die auch bei brütender Hitze am Nachmittag stattfinden, wie ihre Lehrer genießen, da das Zusammensein in der Schulfamilie in dieser Zeit richtig schön ist, weil Noten und Leistungen mal nur zweitrangig sind. Auch Fahrten finden in dieser Zeit häufig statt. Dann haben wir locker eine 60-Stunden-Woche, die Herr Neumaier natürlich nicht hat. Und wenn doch, dann freut er sich über 22 bezahlte Überstunden, die er fröhlich auf seiner Terrasse abfeiert. Wir nennen dieses Abfeiern von Überstunden dann übrigens Ferien.

Wenn es schwarze Schafe überall gibt, wie Herr Neumaier feststellt, hält ihn das aber nicht davon ab, alle Lehrer über diesen einen Kamm zu scheren, um dann seine Stammtischklischees bayernweit über den Äther zu verbreiten. Herr Neumaier, für diesen respektlosen Kommentar sollten Sie sich schämen. Und um mit Ihren Worten zu enden, Pauschale Verunglimpfung a la Neumaier bringt überhaupt nichts.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

4 Kommentare

  1. …und mich würde es mal interessieren, ob der „Herr Verwaltungsangestellte“ auch mal für mich am Mittwoch Nachmittag sein Büro aufsperrt, um Papierkram zu erledigen, da hätte ich nämlich Zeit! Das muss doch kundenfreundlicher werden!

  2. ich bin ja übrigens ein junger lehrer in der ganztagesklasse … und das sind die schlimmsten sechs stunden in der woche

  3. Ach bitte ihr Lehrer, jammert doch nicht rum – geht in die freie Wirtschaft, schaut auf den „arbeitsfreien Tagen“…

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