Im Anfang war das Wort

Schon in der von immer mehr Menschen als alter Märchen-Schinken belächelten Bibel ist die Bedeutung der Sprache elementar verankert: In Genesis 11 straft Gott die übermütig gewordenen Menschen in Babel, indem er ihre Sprache verwirrt. Sie verstehen sich nicht mehr und können ihren tollkühnen Turmbau nicht weiterverfolgen. Erst im Pfingstereignis im Neuen Testament hebt Gott diese babylonische Sprachverwirrung auf, die neue Fähigkeit, alle Sprachen zu sprechen und zu verstehen, ermöglicht so die Verbreitung der Auferstehungsbotschaft und somit die Entstehung der Kirche.

Ein kurzer Schwenk, ehe ich zur Sprache zurückkomme: Wenn ich das politische Geschehen im vergangenen Jahr Revue passieren lasse, denke ich nicht selten an Henryk Broders Dankesrede als Ludwig-Börne-Preisträger im Jahr 2007, die auch Thema meiner ersten Lehrprobe war. „Bin ich verrückt oder sind es die anderen?“, fragte er mehrmals, als er den Toleranzbegriff  beleuchtete und dessen heutige Auslegung zunehmend als „Gleichgültigkeit“ erkannte. „Verrückt“ habe ich in dieser Stunde nicht nur im eigentlichen Sinn als „wirr“ betrachtet, sondern auch als veränderten Standpunkt, der nicht mehr als landläufig „normal“ betrachtet wird. Selbst das Wort „normal“ darf ja nicht mehr einfach mal so verwendet werden, ohne dass sich jemand diskriminiert fühlt.

Immer öfter habe ich das Gefühl, dass populistische und öffentlichkeitswirksame Forderungen und Aktionen wichtiger sind als realistische Einschätzungen, die manchmal die so heile Welt auch empfindlich stören könnten, und daher einfach vermieden und verdrängt werden. „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“ und schon ist die heile Welt für jeden Verdränger ein Stückchen gerettet.

Wenn Deutschland ein Einwanderungsland ist, und das ist es definitiv, braucht es auch eine klare, mitunter auch restriktive Regelung für diese Einwanderung, so funktioniert das auch in anderen Ländern, zu denen gerne Vergleiche gezogen werden. Natürlich meist nur dann, wenn es ins Verdränger-Weltbild passt. Dass nicht jeder, der kommen will, auch bleiben kann, liegt eigentlich auf der Hand, das handhaben andere Länder nicht anders. Dass wiederum andere bleiben müssen, weil sie unsere Hilfe unbedingt brauchen und selbstverständlich auch bekommen, liegt ebenso auf der Hand. Wie viele machen es sich aber viel zu einfach, indem sie fleißig die mehr als abgedroschene Phrase „Kein Mensch ist illegal“ dreschen und ein sich reimendes „Bleiberecht überall“ hinterherschicken. Wie das funktionieren soll? Egal! Der Staat soll machen, der Staat hat Geld. Punkt. Wenn man in idealistischer und auch ideologischer Weise Geld ausgibt, mit dem man selbst nicht haushalten muss, gibt sich leicht jeder Euro mehrmals aus, da kann man dann auch leicht sagen, der Staat könne und müsse jeden aufnehmen, über die praktische Umsetzung muss man ja auch nicht mehr als theoretisch nachdenken. Die Aussage, es sei genug Geld und Platz da, muss reichen, der Zusatz, Deutschland sei so unglaublich wohlhabend, verstärkt das noch.

Denke ich nicht mehr normal und realistisch? Bin ich verrückt?

Zurück zur Sprache: „Im Anfang war das Wort […]“ hieß es unlängst wieder im Johannes-Prolog am 1. Weihnachtstag und weiter „Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“ Als die CSU vor ihrem Parteitag im Dezember forderte, Migranten „anzuhalten“ auch daheim Deutsch zu sprechen, brach ein Sturm der Entrüstung los: Politiker entrüsteten sich landauf landab, Journalisten ebenso und der inzwischen übliche Shitstorm auf Twitter und Facebook durfte natürlich auch nicht fehlen und das übliche Fischen am rechten Rand wurde der CSU vorgehalten. Es ist ja so einfach, ein Problem so aus der Welt zu schaffen. Spott und Häme ergossen sich über die CSU und Andreas Scheuer und meist war der Tenor: Die Bayern und die Franken sollten erstmal selbst Hochdeutsch sprechen, ehe sie die Sprachpolizei zu den Migranten ins Wohnzimmer schicken. Die Vorzüge von zweisprachig aufwachsenden Kindern wurden eifrig betont und hochrangige Politiker wie Cem Özdemir waren sich nicht zu doof, von sich zuhause zu berichten, welche Sprachen dort gesprochen würden. Alle Vorzeigemigranten aus dem Bundestag durften sich äußern. Problem gelöst, da nicht vorhanden. Die CSU und ihre populistischen Forderungen auf Kosten von Ausländern wurden abgebügelt und das gute Gewissen war wieder da.

Bin ich verrückt?

Augenscheinlich werden Integrationsprobleme einfach ausgeblendet und es wird so getan, als würden gerade arabischen und türkischen Migranten alle Türen offen stehen, weil sie zwei Sprachen sprechen. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man ein bisschen Einblick in das Leben von Jugendlichen hat. Das Bildungsbewusstsein ist gerade in den angesprochenen Milieus sehr wenig ausgeprägt, häufig sprechen die Kinder weder gut Türkisch, noch gut Deutsch. Verständigen können sie sich zwar in zwei Sprachen, das Beherrschen einer Sprache sieht aber anders aus. Und was ist die Folge? Integriert sind vor allem die nicht, die sich nicht richtig verständigen können und dann auch in der Schule und  in der Gesellschaft chancenlos sind und Auswege suchen. [Der Beitragsentwurf war älter und wurde von den schlimmen Attentaten in Paris eingeholt.] Ist es das, was die Beiseiteschieber wollen? Fast zynisch ist es, hier einfach zu erzählen, wie toll die Zweisprachigkeit sei. Oder sich als Vorzeigemigrant hinzustellen und zu sagen, es gäbe keine Probleme, und wenn es denn doch welche geben sollte, dann sind diese nicht so groß. Gingen genau diese Politiker nicht immer nur in Vorzeigeprojekte, wo Integration perfekt funktioniert und die grüne Weltsicht noch grün-rosiger erscheinen lässt, würden sie das Sprachproblem vielleicht ernster nehmen. An der Sprachbarriere scheitern viel zu viele türkischstämmige Kinder, die locker das Zeug für eine Abitur und ein Studium hätten. Und warum? Weil das Sprachbewusstsein daheim wenig ausgeprägt ist, daheim Türkisch gesprochen wird und die Kinder nur in der Schule Deutsch sprechen, mit eingeschränktem Wortschatz und schlechter Grammatik. Als Döner-Deutsch belächelt und verharmlost stellt das aber genau das Problem dar: Die Kinder gehören einfach nicht voll dazu, weil sie durch die schlechteren Sprachkenntnisse immer benachteiligt sein werden und das auch weitergeben an ihre Kinder. Da helfen keine Stellenausschreibungen, die sich besonders an Migranten richten, auch diese werden nicht eingestellt, wenn sie die Sprache nicht gut beherrschen.

Ist das jetzt populistisch, wenn die CSU hier ansetzen will? Ob Migranten „angehalten“ oder „motiviert“ werden, in den eigenen vier Wänden Deutsch zu sprechen, ist wieder eine sprachliche Spitzfindigkeit, die nicht weiterhilft, aber schön ablenkt und im Zweifel die Übereifrigen in ihrem Kampf gegen Rechtspopulismus besänftigt. Ist es so schwer zu begreifen, dass vieles nicht so funktioniert hat, wie es einst im Multikulti-Traum ausgesehen hat? Es ist so viel leichter, einfach Vorschläge lächerlich zu machen, als Probleme tatsächlich in Angriff zu nehmen. Dass dabei Kinder und ganze Generationen benachteiligt werden und durch das Verdrängen nichts zur Problemlösung beigetragen wird, finde ich einfach nur abartig. Denn gerade die Grünen, die glauben, sie haben die Kompetenz in Sachen Integration einst mit der Bio-Muttermilch eingetrichtert bekommen, zeigen in einer solchen Debatte, wie welt- und realitätsfremd sie sind, wenn sie einfach wegsehen und ihren Multikulti-Traum weiterspinnen.

Stattdessen wird gegen Negerkönige, Mohrenköpfe, Zigeunersoßen und andere halbgare Diskriminierungen vorgegangen. Das tut schließlich nicht weh.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“