INtegration

Schon wieder Politik… Was ist das eigentlich für ein merkwürdiges Verständnis von Integration, das der türkische Ministerpräsident Erdogan am Wochenende vor 20.000 Landsleuten in der Kölnarena verbreitet hat?

Zum einen forderte er türkische Schulen und türkische Universitäten in Deutschland. Sehr interessant. Und vor allem, zu welchem Zweck? Türkische Einwanderer brauchen doch dann kein Deutsch zu lernen, sondern gehen nach der türkischen Schule auf die türkische Uni, um anschließend als türkischer Akademiker auf der Straße zu sitzen, weil die Deutsch-Kenntnisse nicht ausreichen, um die türkischen Kenntnisse in Deutschland an den Mann zu bringen. Den Vergleich mit den deutschen Goethe-Instituten und deutschen Schulen im Ausland zu ziehen, um auch diesen abstrusen Vorschlag wieder positiv zu sehen, halte ich für völlig verfehlt, weil Deutsche im Ausland doch unter anderen Bedingungen im Ausland beginnen als türkische Einwanderer, die in den meisten Fällen aus wirtschaftlichen Gründen hier stranden, aber oftmals nicht vor Anker gehen, um in dieser Metapher zu bleiben. Wie soll Integration dann noch funktionieren? Dadurch wird doch die Parallelgesellschaft noch mehr ausgegrenzt, oder besser gesagt, dadurch grenzt sich die Parallelgesellschaft, die ohne Zweifel existiert, selbst noch mehr aus. Wie will er so eine weitere Ghettoisierung vermeiden? Integration bedeutet nicht, im neuen Land sein altes Leben unverändert unter Gleichgesinnten fortzusetzen, zumindest nicht für mich.

Wie kann Herr Erdogan dann auch noch vor zu großer Assimilation warnen und diese als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anprangern? Wenn ich mich dazu entschließe, in einem anderen Land meinen neuen Lebensmittelpunkt zu setzen, dann passe ich mich doch ganz automatisch den dortigen Lebensbedingungen und Gepflogenheiten an, ohne dass ich dabei meine eigene Kultur aufgebe und meine Herkunft verleugne. Ich finde mich schlicht und einfach in die dortige Lebensweise ein. Ich bin der Meinung, überall auf der Welt hat der Gast sich nach den Regeln des Gastgebers zu richten und ein guter Gastgeber nimmt in der Regel auch den Gast als solchen wahr, nimmt Rücksicht auf diesen und erkennt ihn an. Und Deutschland ist ein wahrlich guter Gastgeber. Anpassung ist doch nichts Schlimmes. Wenn manche das Wort Leitkulur vernehmen, klingeln bei ihnen umgehend die Alarmglocken, sie haben ein schlechtes Gewissen und erheben den Zeigefinger, doch nicht schon wieder andere auszugrenzen oder zu bevormunden. Dabei meint das doch nur die Kultur, an der sich jeder zu orientieren hat, fertig. Assimilation bedeutet nicht, seine Identität aufzugeben, Integration kann aber auch nicht bedeuten, vom Gastgeber jedes nur mögliche Zugeständnis zu erwarten, da gehören in einem noch höheren Maße auch Zugeständnisse des Gastes dazu.

Erdogan scheint die Türken in Deutschland beinahe wie eine Kolonie außerhalb der Türkei zu betrachten, wenn er ihr türkisches Nationalgefühl auf seiner Wahlkampftour in dieser merkwürdigen Weise stärkt und zu selbstbewusstem Eintreten für die eigenen Interessen aufruft. Er ist dabei vor allem äußerst widersprüchig: Er ruft zur Integration auf, fordert zum Deutsch-Lernen auf, nur frage ich mich, wozu soll ein Türke noch Deutsch lernen, wenn er hier kein Deutsch braucht. Wie wird er dann noch integrierbar? Um integriert werden zu können, braucht es als allererstes den Willen, sich integrieren zu lassen und sich selbst zu integrieren. Dem hat Erdogan ganz bestimmt einen Bärendienst erwiesen. Er ruft ja förmlich dazu auf, möglichst alles zu bewahren und bloß nichts aufzugeben.

Leider fehlt sehr vielen überhaupt auch der Respekt vor ihrem Gastland…

[Nachtrag] Henryk M. Broder stellt zu Recht die Frage Und was, wenn sie nicht wollen? und verweist auf einen Kommentar in der FAZ.

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Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

9 Kommentare

  1. Erdogan hat kurz nach seinem Amtsantritt vielen europäischen Türken seine Wiederwahl erleichtert, denn sie müssen zum Wählen nicht mehr in die Türkei fliegen, sondern können es hier in Europa tun. Für Erdogan ist es also besser, wenn die europäischen Türken Türken bleiben, damit sie ihn wählen können.

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  3. Schau dir einmal diese Auswanderer-/Rückwanderersendungen an und dann sag noch einmal, dass sich Deutsche im Ausland besser anpassen und einfügen. Gerade die letzte Sendung war ein prima Beispiel dafür, dass nichts anders ist als hier im umgekehrten Falle.

  4. Meinst du Sendungen wie „Mein neues Leben XXL“ und dergleichen? Die meisten von denen dürften nicht wissen, was das Goethe-Institut ist. Ich wage aber mal zu behaupten, dass diese Leute nicht repräsentativ für Deutsche im Ausland sind, weil das die meist die sind, die es hier nicht geschafft haben und es jetzt eben woanders versuchen. Die dürften aber meines Erachtens in der Minderheit sein und im großen Melting Pot anderer Länder nicht auffallen, wie es andersherum hier der Fall ist. Ich möchte gerne mal wissen, wie viele von denen anschließend zurückkommen, weil es ihnen in der Fremde noch schlechter geht als in Good Old Germany.

    An F. denke ich immer als eines von vielen Beispielen, wo Integration blendend funktioniert.

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