Maischberger und die Tränendrüse

Fast hätte es Sandra Maischberger gestern geschafft, ihr Interview mit Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt nach wenigen Minuten voll an die Wandzu fahren. Sie musste ja unbedingt Emotionen provozieren und auf die Tränendrüse drücken, indem sie nichts Besseres zu tun hatte, als mehrmals nach Schmidts Wohlbefinden nach dem Tod seiner Ehefrau Loki zu fragen. Die Folge war ein betretenes Schweigen, unterbrochen von einsilbigen Antworten Schmidts, der mit gesenktem Kopf versuchte, nicht zu viel Privates preiszugeben. Ich war kurz davor, wegzuschalten, weil ich das als peinlich empfunden habe, ein Interview derart plump zu beginnen. Schmidt rauchte, viel mehr gaben die ersten Minuten nicht her und Maischberger bohrte immer weiter nach.

Zum Glück kam sie dann doch zu den politischen Themen und agierte dabei zum Glück nur als Stichwortgeberin, den Rest erledigte Schmidt in seiner ihm eigenen stoischen hanseatischen Ruhe, gepaart mit der Schmidt’schen Ironie. Maischberger versuchte zwar regelmäßig, Schmidt Äußerungen zum politischen Tagesgeschäft zu entlocken, diese blockte er aber wunderbar ab, während er sich scharf zu innen- und außenpolitischen Themen äußerte, auch zu Thilo Sarrazin, den seine SPD ja nach wie vor aus der Partei ausschließen will. Er warf ihm – zu Recht – vor, die Vererbungstheorien breitgetreten zu haben, stimmte ihm aber bezüglich der angesprochenen Konflikte zu, die in Religion und Kultur begründet liegen. Wo bleibt die Empörung der Heile-Welt-Claudia? Er war nicht zimperlich und sagte unverblümt und messerscharf seine Meinung. Auch über seine Parteigenossen, die er mit sehr wenigen Worten doch zu kritisieren wusste. Sehr beeindruckend war das, von einem 90-jährigen in dieser Weise eine politische Bestandaufnahme zu hören, vielleicht haben die Fundamentaloppositionellen bezüglich „Stuttgart 21“ und Kernenergie zugehört, auch diesbezüglich war Schmidt recht eindeutig. Seiner Medienschelte versuchte Maischberger den Wind zu nehmen, sie hat es aber nicht geschafft.

Dass Maischberger am Ende wieder nach Loki, Schmidts Einsamkeit, der bewegenden Rede Voscheraus und Schmidts bevorstehendem Geburtstag fragen musste, war wirklich unwürdig.

Die ganze Sendung in der ARD-Mediathek, wirklich sehenswert.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“