Merkwürdiger Automatismus

Völlig unabhängig vom Typ, vom Geschlecht, vom Aussehen, vom Studienfach ist eine Angewohnheit allen Studenten gleich: In der Bibliothek klingelt das Telefon, bei den meisten brummt es nur in der Hosentasche, auf jeden Fall muss man zum Telefonieren schnell raus, da man hier nicht telefonieren darf, da das jeden einzelnen stört. Also rennt Männlein wie Weiblein, Alt und Jung möglichst unauffällig aus der Bibliothek raus, aber anstatt mit seinem „Hallo?“ zu warten, bis man draußen ist, rufen wirklich alle ein freudig-erregtes „Hallo!“ in ihr Telefon, bevor sie durch die Tür gehen, damit jeder mitbekommt, was der Nachteil des Mobiltelefonierens ist. Natürlich gibt es auch die, die munter an ihrem Lernplatz drauf lostelefonieren und sich in der festen Übersetzung, ihr Gemurmle störe niemanden, auch nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Überhaupt ist das ja so eine Sache mit dem peinlich-berührten Rausschleichen bzw. Reinschleichen, wenn man glaubt, man störe jetzt alle, wenn man völlig normal an seinen Platz geht. Am Samstag im Konzert in der Neubaukirche habe ich das beobachtet: Da war ein älterer Herr in der kurzen Pause zwischen dem ersten und zweiten Teil auf der Toilette und hat wohl damit gerechnet, dass die Pause ein bisschen länger dauert. Er hat sich aber getäuscht und so kam er zurück, als das Konzert schon weiterging. Also hat er sich leicht geduckt, den Kopf vorgebeugt und ist auf seinen Platz „zurückgeschlichen“. Das sieht dann immer sehr lustig aus, so ein bisschen wie der „Lauf-Hüpf-Stil“ von Otto, nur in Zeitlupe.

Auch in der Vorlesung gibt es dieses Phänomen: Hier am Sanderring gibt es schöne alte Hörsäle, die einen Holzboden haben. Muss nun jemand früher gehen oder kommt zu spät, beginnt dieses vorsichtige, langsame Auftreten, bei dem die Leute wie eine Ente zu watscheln beginnen. Der Boden knarzt natürlich mehr als wenn man mit normalem Tempo die Treppe rauf oder runter geht und stolpert derjenige dann auch noch, war sowieso alles umsonst. Aufmerksamkeit bekommt man so oder so, vor allem aber auch dann, wenn man den falschen Türflügel öffnen will.

Die Menschen, die im Kino aufs Klo müssen, gehen ebenso übervorsichtig auf Zehenspitzen und ducken sich, als lauere hinter einem der Sitze ein Scharfschütze. Ich habe zu selten Popcorn, aber damit sollte man diese Typen mal beschießen. „Hallo?“ Wenn ichs es nicht gerade geschrieben hätte, jetzt ist es schon wieder passiert.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“