Soso, politische Verkommenheit…

Meine Lieblingspolitikerin, die grüne Oberempörungs- und Türkeibeauftragte und -Sondergesandte Claudia Roth empört sich natürlich auch über das Verhalten der SPD-Abweichler, die es heute gewagt haben, Dilettanti-Ypsilanti ihre Zustimmung bei der für morgen geplanten Wahl zur Ministerpräsidentin zu verweigern. So recht verstehe ich zwar nicht, dass das den drei Herrschaften neben Dagmar Metzger erst jetzt einfällt, aber besser spät als nie.

Die Empörung bei SPD, Grünen und Linken ist mindestens so groß wie die Schadenfreude im konservativen Lager, so groß, dass ich ihr auf jeden Fall einen eigenen Beitrag widmen muss. Claudia Roth sieht im Verhalten der Abweichler – Achtung, sie greift tief in die rhetorische Keulenkiste – „politische Verkommenheit“, die zu noch größerer Politikverdrossenheit führen würde. Die Argumentation kann ich zwar nicht nachvollziehen, da die vier meines Erachtens Rückgrat beweisen, wo die anderen längst der Machtgier nachgegeben haben, und so dem Versprechen aus dem Wahlkampf treu geblieben sind, aber wenn sie meint, das ist das eben so. Irgendwas muss sie ja empören.

Auch Klaus Wowereit, der in Berlin schon länger mit den Kommunisten regiert und das gar nicht schlimm findet, empört sich auch und empfindet es als Schande.

Ich kann nur noch einmal den Artikel 38 unseres Grundgesetzes (Absatz 1) zitieren, das auch für den hessischen Landtag gelten sollte:

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Wenn die Abgeordneten der Überzeugung sind, mit den Linken wollen sie nicht zusammenarbeiten, ist es doch ihr gutes Recht, dagegen zu stimmen. Was ist daran so verkommen? Sie hätten Ypsilanti ja auch auflaufen lassen können und morgen scheitern lassen können, wie es damals Heide Simonis passiert ist. Die Sondersitzung morgen ist übrigens abgesagt worden.

[Nachtrag 04.11.] Offenbar wurde ein Wettbewerb ausgerufen, wer neben den wüstesten Beschimpfungen – „hinterlistige Schweine“ führt die Rangliste derzeit an – die absurdesten Anschuldigungen gegen die als Abweichler bezeichneten Aufrichtigen loslässt. Die völlig unbekannte SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Lopez warf den vier nicht-linientreuen Volksgenossen Bestechung vor, die mächtige Energiewirtschaft habe damit gesiegt. Damit liegt sie in dieser Kategorie vorne. Nur knapp dahinter liegt aber der SPD-Ortsverein Bonames, der wegen „parteischädigenden Verhaltens“ ein Ausschlussverfahren eingeleitet hat. Das übliche Vorgehen in der SPD gegen kritische Stimmen, siehe Wolfgang Clement oder Dagmar Metzger. Solche Schlammschlachten finde ich übrigens verkommener, niederträchtiger und hinterlistiger, genau solche Äußerungen führen zur Roth’schen Politikverdrossenheit, weil Abgeordnete nicht mit dem Gewinn einer Wahl zu linientreuen Parteimarionetten mutieren und alles abnicken sollten.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

13 Kommentare

  1. Den Vogel abgeschossen hat aber der Kommunisten-Landtagsabgeordnete Schaus: Die vier Politiker als „hinterlistige Schweine“ zu bezeichnen, ist schon mehr als starker Tobak.

  2. Wenn ich es richtig gelesen habe, ist dieser Mensch sogar Vizepräsident des hessischen Landtags. Na herzlichen Glückwunsch, Demokratie – wenn du von solchen Leute in der Öffentlichkeit vertreten wirst!

  3. Soso, du bist jetzt bei der FPD! 😉
    Kleiner Vertipper bei der Email-Adresse, drum war der nicht gleich freigegeben.

    Der ist Vize-Präsident des Landtags? Echt? Wäre ja der Hammer. Ich würde den echt für diese Aussage belangen, das hat mit Kritik und Parlamentarismus NICHTS zu tun, sondern ist eine schäbige Beleidigung und nicht mehr.

  4. Wow, das toppt tatsächlich den absurden Bestechungsvorwurf. Sind die noch ganz bei Trost? Besser, dass der verbale Bombenbastler ungenannt bleiben möchte. Recht feig ist das aber. Die, die er beschimpft, haben da mehr Eier in der Hose.

  5. Immerhin können die vier aufrichtigen Herrschaften noch in den Spiegel schauen, worauf die anderen vielleicht schon länger verzichten. Wofür brauchen sie noch einen Spiegel, wenn sie ihr Gesicht mit gebrochenen Wahlkampfversprechen schon verloren haben.

  6. Richtig geil finde ich diesem Zusammenhang den Vorwurf von SPD-Anhängern und SPD-Vertretern, die die Schuld bei der FDP suchen, weil die an ihrer Koalitionsaussage mit der CDU festgehalten und sich nicht für eine Ampel geöffnet haben.

    Sehr schön, die FDP soll ihr Wahlversprechen also brechen, damit die SPD ihr Wahlversprechen halten kann. Wie blöd.

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