Transparente Inkompetenz?

Transparenz, Transparenz, Transparenz. Kaum ein Tag vergeht seit der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vor knapp einem Monat, an dem nicht irgendwo ein Pirat davon schwadronieren darf, was sich seine Partei groß auf die Fahne geschrieben hat. Alles soll transparent sein, alles, die ganze Politik, damit der Bürger nicht mehr im Dunklen steht. Twittern aus dem Plenarsaal, Live-Streams von Sitzungen, jeden Schritt soll der Wähler, der Bürger, nachvollziehen können. Die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel soll kostenlos sein, eine großartige Forderung in einer hoffnungslos verschuldeten Stadt, schließlich würde man ja gleichzeitig die Kosten für die Kontrolleure und die für inhaftierte ertappte Schwarzfahrer einsparen. Viele viele Millionen betrage die Gesamtschuldensumme, blamierte sich Andreas Baum, der „Spitzenkandidat“ der Piraten, im rbb, der keine Ahnung hatte, dass es am Ende halt 63 Milliarden sind, mit denen Berlin in der Kreide steht. Haschisch-Unterricht und Haschisch-Legalisierung, ebenfalls sehr seriöse Forderungen, die immerhin 9% der Wähler auf welche Weise auch immer überzeugt haben. Die Neu-Abgeordneten bekommen jetzt ganz transparent eine stolze Summe im Monat, ob sie das Geld verdienen, es wird sich zeigen.

Jetzt muss es Menschen, so ist zumindest meine Meinung, wirklich gut gehen, wenn sie ihre Stimme einer vermeintlichen Spaßtruppe geben, deren Kompetenz bei den meisten Themen gegen Null geht, auch wenn sich viele nur als Protestwähler sehen, der den etablierten Parteien nicht mehr vertrauen kann. Wenn man dann an die Piraten glaubt, kann die Not nicht so groß sein. Etwas mehr Ernsthaftigkeit an der Wahlurne wäre wünschenswert. Ein bisschen twittern und die Oberflächlichkeit von 140 Zeichen erhält Einzug in die Welt der Politik, weil Transparenz alle Probleme löst, wenn man Entscheidungen nur nachvollziehen kann. Ich glaube ja eher, dass sich der Hype um die Piratenpartei schnell legt, wenn sich die Piraten in der realen, analogen Welt der Politik als Pfeifen selbst ad absurdum führen oder wenn sie sich irgendwann nur noch darüber streiten, nicht mehr alles öffentlich zu machen.

Eines muss man den Piraten lassen, sie haben es geschafft, Nichtwähler zu mobilisieren. Und wenn Menschen schon aus Protest wählen gehen, dann richten sie im Zweifel mit den Piraten weniger Schaden an, als wenn sie ihre Stimmen den Kommunisten oder Nazis geben, die Sympathie für diese Spaßvögel hielte sich allerdings mehr in Grenzen, wenn sie statt links eher rechts stünden, aber das traditionelle Links-Rechts-Schema ist ja sowieso veraltet.

Warum das eine moderne Form von Politik sein soll, muss sich mir erst noch erschließen, ich denke da wie Nikolaus Blome, dass das nämlich gar keine Politik ist, wenn man nicht weiß, was man tut, weil man es nicht kann. Wie sollen denn genervte und enttäuschte Bürger von dieser „Politik“ wieder überzeugt werden? Ein verabsolutiertes Thema allein und tolle Bezeichnungen wie „liquid democracy“ dafür, dass man einfach keine Position hat, reichen nicht aus, auch wenn dadurch die Inkompetenz schön kaschiert wird. Man müsste sich dann ja noch mehr „einlesen“. Keine Meinung zu haben als neue politische Position? Welchen sinnvollen Beitrag will man ohne klare Position leisten? Heute so, morgen so?

Wenn sich dann der Bundesvorsitzende Sebastian Nerds Nerz gestern bei Pelzig hält sich blamiert, weil er keine Ahnung von irgendwas hat und auf keine Frage eine nur annähernd konkrete Antwort geben kann, was die Piraten überhaupt wollen, dann bestätigt mich das nur in meiner Meinung, dass mit einer solchen „Politik“ niemandem geholfen ist. Pelzig hat ihm zwar für die Bundespressekonferenz, in der die Piratenpartei heute mal mitmachen durfte, empfohlen, etwas konkreter zu werden, beherzigt hat er es aber ebensowenig wie seine beiden Mitstreiter, die allgemeines Blabla von sich gegeben haben und statt konkreter Antworten darauf verwiesen haben, dass alle Themen sehr komplex seien, sie alles ändern wollen oder noch keine Meinung dazu haben. Mit dem Internet. Und dann wollen mir solche Leute erzählen, wie sie sich zukünftige Schulbildung an zukünftig demokratischen Schulen vorstellen? OMG WTF Dann lieber Siegfried Kauder, der vielleicht vom Internet keine Ahnung hat, dafür aber von wirklich wichtigen Dingen, die jetzt hier zu komplex wären, um sie auszuführen… 😉

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

5 Kommentare

  1. Im Zusammenspiel mit Prior schreit Pelzig ähnlich unsympathisch wie der Struwwelpeter, allein ist er um Klassen besser und unschlagbar gut.

  2. Nette Notiz am Rande: Die oft strapazierte Transparenz stößt wohl schon an ihre Grenzen. In der Bundespressekonferenz wollte Herr Nerz dann öffentlich lieber nichts über die Meinung der Piraten zu den Euro-Bonds sagen und meinte sinngemäß, das tue er lieber im kleinen Kreis.

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