Unser Lehrer Doktor Precht

Prechtmittel, das; -s

Ein Prechtmittel ist ein rezeptfrei erhältliches, homöopathisches, aber dennoch sehr starkes Hypnotikum  und dient eigentlich dem Zweck, sehr schnell einschlafen zu können. Das ZDF hat zu diesem Zweck das schwächer dosierte „Das philosophische Quartett“ vor einem Fernseher mit Kaminfeuer eingestampft und Richard David Precht mit der scheinbar hipperen Sendung „Precht“ auf den nächtlichen Sendeplatz gehievt. Ohne Lagerfeuer. Dort darf er in der Regel gebührenfinanziert ungestört und unwidersprochen rumpalavern vor sich hin philosophieren, es hört ihm in der Regel sowieso nur sein Gast zu.

Problematisch wird es allerdings, wenn Herr Precht vor Mitternacht in einer der unzähligen Talkshows auftaucht, um dort als vermeintlicher Experte seine gedanklichen Ergüsse auszubreiten. So war er am Sonntagabend bei Günther Jauch zu Gast, um zum derzeit so beliebten Thema „Notendruck, Sitzenbleiben – weg mit der alten Schule?“ Werbung für sein kürzlich erschienenen Buch zu machen, in dem er – wie es der Zufall so will – sich seine eigene Traumschule zusammenspinnt. In „Anna, die Schule und der liebe Gott“ rechnet er mit „dem Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern“ (so der Untertitel des Buches) ab. Die Marschrichtung war mit dem Thema vorgegeben, und so durfte Precht munter seine Traumwandlereien zum Besten geben, wobei mehr und mehr deutlich wurde, dass Precht wahrscheinlich manchem Hirn- und Verhaltensforscher länger zugehört hat, dass er aber sehr wahrscheinlich seit seiner eigenen Schulzeit keine Schule mehr von innen gesehen hat und dort – an der Schule wohlgemerkt – niemals irgendwas gemacht hat, das an eine Art von Lehrtätigkeit erinnert. Die Uni zählt nicht. Würde er den Schulalltag kennen, er hätte sich seine Träumereien sparen können, da nicht nur Ursula Sarrazin manche Vorstellung Prechts zwar ganz nett fand, aber gleichzeitig die völlige Realitätsferne monierte. Immerzu verteufelte Precht die Schulen, die nur für Frust sorgten, weil Noten schließlich so grausam seien. Dass fleißige Schüler durchaus Erfolge haben und diese auch mit gutem Recht genießen, ist bei unserem Lehrer Doktor Precht nicht angekommen. Wie sollte er auch an solche Informationen kommen, er kennt ja offenbar nur vom Sitzenbleiben traumatisierte Schulversager. Er will andere Lehrer, andere Schulen, er will nicht nur eine Reform, sondern eine Revolution im Bildungssystem. Lehrer sollen Schüler nicht mehr mit irgendeinem Wissen langweilen und überfrachten, weil sie dadurch deren Entwicklung hemmen, sie sollen deren „Kreativität“ fördern und in „Projekten“ beobachten, um dann gemeinsam (!) Gutachten zu erstellen, die Fähigkeiten wie z.B. „Leistungsbereitschaft“ würdigen, die Precht auch nicht weiter ausführte. Im jetztigen Schulsystem ist auf jeden Fall der Lehrer schuld, wenn das Kind schlechte Noten bekommt. Überhaupt scheinen alle Lehrer Dödel zu sein, die erst brav Lehramt studieren, dann aber merken, dass das nichts für sie ist, aber trotzdem weiter als Lehrer arbeiten. Der Einzelfall wird zur Regel. Danke auch dafür.

Precht erwartet von den Lehrern Kunststücke, die Menschen mit einem 24-Stunden-Tag nicht bewältigen können, es sei denn Lehrer verzichten in Zukunft nicht nur auf jede Form von Entspannung, sondern leben auch zolibatär und ausschließlich nur noch für die Schule, um Torben-Sebastian, Loius-Raphael, Henriette-Charlotte und Fabienne-Bernadette in ihren Talenten zu fördern und für die Universität fit zu machen, wo sie dann natürlich ohne Probleme auch Philosophie studieren können, wie das Herr Precht einst getan hat. Lehrer sollten, wenn man Precht folgt, in Zukunft am besten Maschinen sein, die man auf die „skills“ ihrer Schüler perfekt abstimmt, die dann aber auch noch zaubern können, falls es mit den Traumtänzereien nicht wie erhofft und ersponnen klappt. So wie Precht vom Lehrer der Zukunft geredet hat, glaubt er wohl auch daran, dass David Copperfield wirklich zaubern kann, wenn für ihn alles so einfach klingt. An die Bezahlbarkeit seiner teilweise absurden Ideen hat er schon gar nicht gedacht, allein die Schilderung seiner Bildungsutopien rückt eine Realisierung dieser Ideen in weite Ferne.

Natürlich wurde auch fernsehgerecht eine reformpädagogische Schule in Szene gesetzt, in der Lehrer und Schüler den individuellen Lernfortschritt preisen, in der natürlich auch alles ganz großartig und viel besser ist. Wie das abläuft, wenn das Fernsehen an eine Schule kommt, kann sich jeder selbst ausdenken.

Auf jeden Fall ist nichts mehr zeitgemäß, all unser Wissen stamme aus längst vergangenen Zeiten, der Stoff, die Lehrmethoden, die Lehrer, einfach alles müsse auf den Kopf gestellt werden. Bei dem Käse, den Precht über eine Stunde lang über Schulsysteme verzapfen durfte, sind bei mir irgendwann Zweifel aufgekommen, ob Precht überhaupt irgendein Schulsystem genauer kennt. Für alle Bildungsreformsüchtigen – ein schönes Wort, das ich hier aufgeschnappt habe – war er sicherlich an diesem Abend der Held. Mich hat er genervt und geärgert. Wie wahrscheinlich jeden Lehrer.

Wollen wir mal hoffen, dass die Sitzenbleiben-Sau bald wieder aus dem Dorf raus ist, durch das sie derzeit getrieben wird. Über das Thema an sich habe ich mich ja erst kürzlich hier ausgelassen.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“

Ein Kommentar

  1. Das müsste Precht jeden Morgen vor dem Frühstück lesen – eine schöne Vorstellung.

    Danke für diese 100-Prozent-Stellungnahme!

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