Weihnachtsaggressionen

Was bin ich froh, dass ich nicht diesen Weihnachtsstress empfinde, nicht auf den letzten Drücker Geschenke suchen muss, die am Ende in die Kategorie „Verlegenheitsgeschenk“ fallen, weil halt irgendwas geschenkt werden muss. Eines hier, eines dort, aber nicht in diesem Gewühl und nicht unter diesem Zeitdruck. In der Stadt ist eine ganz merkwürdige Atmosphäre. Entweder, ich wurde fast umgerannt, angerempelt, überfahren und/oder beschimpft, oder andere haben das vor meinen Augen wunderbar zelebriert.

Dass mich der Yuppie-Prolet beim Müller recht schmerzhaft angerempelt hat ohen sich zu entschuldigen, das kommt vor, dass ich die schier endlose Kassenschlange kreuzen will, mich aber keiner durchlassen will, weil er denkt, er müsste dann noch länger warten, hat mich schon mehr gestört, zumal ich noch böse Blicke bekommen habe. Überhaupt war im Erdgeschoss beim Müller eine richtig aufgeheizte Stimmung. Die lange Schlange scheint jeden schon beim Reingehen anzukotzen, dazu der Mischgestank aus allen möglichen natürlichen und künstlichen Damen- und Herrendüften. Ich habe die Flasche 4711, die meine Oma bekommt, im ersten Stock bezahlt, musste an der Zusatzkasse nicht anstehen und habe mich mit der Dame noch nett unterhalten.

In der Eichhornstraße musste ich meine alte Dame anschieben, weil sie bei der Kälte halt auch ein bisschen mehr Zuneigung braucht, um auf Touren zu kommen. Ich schiebe sie also an und plötzlich habe ich fast Tuchfühlung mit einem Ford Ka, dessen Fahrer mich auch noch beschimpfte. Ob ich nicht mit meinem Popel-Roller aufpassen könne. Popel-Roller, meine Vespa, pffff, das sagt einer, der in einem Ford Ka sitzt. In einem lilanen Ford Ka. Voll gay! Ich habe ihn einen Laffo genannt, damit wusste er aber nichts anzufangen.

Hinter dem Dom haben vier verschiedene Autofahrer erbost festgestellt, dass in die freiwerdende Parklücke doch nur ein Auto passt. Jeder hat geblinkt, jeder hat gehupt und am Ende waren zwei der vier Autofahrer verkeilt, weil sie James-Dean-Einparken gespielt haben und aufeinander zugefahren sind, aber keiner zurückgezogen hat. Das alles vor meinen Augen, großartig. Blechschaden gab es noch keinen, einen Dachschaden hatten aber alle vier. Alle mussten hupen und lautstark schimpfen, halb ausgestiegen warfen sie sich sehr liebevolle Bezeichnungen an den Kopf und diskutierten, wem nun die Ehre gebühre, die Parklücke zu besetzen. Zwei keifende Ehefrauen-Beifahrerinnen waren auch dabei, deren Gestänker vervollständigte das lustige Durcheinander, das ein Durchkommen selbst für mich auf meinem Roller unmöglich machte. Auch der aufgestaute Verkehr störte nicht weiter. Wer dann gewonnen hat, war mir aber dann doch wurscht und so habe ich mir doch meinen Weg gebahnt, auch wenn ein weiteres Zuschauen durchaus lohnenswert gewesen wäre.

Dann hätte ich aber die aufgebrachte Dame in ihrem Besserverdiener-Auto am Oegg-Tor am Rennweg verpasst. Sie kam von oben, hatte natürlich Vorfahrt und beharrte auch auf dieser. Es ging zwar nicht weiter, aber sie musste die Durchfahrt trotzdem zustellen. Da stand sie nun, behinderte den Gegenverkehr und schimpfte wie ein Rohrspatz über ihren Vordermann, dass dieser doch zufahren solle. Ich bin kein großer Lippenleser, aber das habe ich deutlich gesehen. Der Vordermann konnte gar nichts dafür.

Am Montag ist Heiligabend, vorher müssen aber scheinbar alle noch ihren Koller bekommen. Schlimm. Ich fühle mich herrlich entspannt und freue mich jetzt, dass Ferien sind.

[Nachtrag 18.17 Uhr] Ich musste noch einmal ins Getümmel, weil ich die Payback-Rabatt-Gutscheine vergessen hatte. Die Ka-Knalltüte hatte auf dem Taxi-Streifen in der Eichhornstraße aber mal gar nichts verloren. Dafür war die Verkäuferin beim Kaufhof sehr nett.

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“