Zeitungszeugen beschlagnahmt

Das bayerische Finanzministerium hat wirklich Ernst gemacht. Die zweite Ausgabe der Reihe Zeitungszeugen ist beschlagnahmt worden.

Die Reihe, die Zeugnis über die Presse im Nationalsozialismus ablegen will, verstoße gegen das Urheberrecht, da nach dem Krieg die Lizenzrechte für die NS-Zeitungen des Eher-Verlags von den Alliierten an den Freistaat Bayern übertragen worden sind (Gleiches gilt übrigens auch für Mein Kampf: Dieses „Werk“ darf in Deutschland nicht gedruckt werden, 2015 erlischt allerdings das Urheberrecht und jeder darf es nachdrucken. Eine historisch-kritische Ausgabe konnte leider bisher nicht erschienen, auch dagegen wehrt sich das Finanzministerium). Das Finanzministerium, das für die Einhaltung verantwortlich ist und für die Rechte eintritt, hat schon letzte Woche Strafantrag gestellt und eine weitere Veröffentlichung untersagt, da der zweiten Ausgabe die Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ nach dem Reichstagsbrand und ein Propaganda-Plakat beiliegen, wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft München I wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und zusätzlich die Beschlagnahmung der beigelegten Dokumente angeordnet.

Ich habe beide bisher erschienenen Ausgaben schon in der Hand gehabt, weil die Faksimile-Drucke bei meinen Geschichtskollegen verständlicherweise sehr beliebt sind. Alles, was Schüler anfassen und anschauen können, ist besser als eine Folie, ein Bild oder ein gescheiter Text. Ich fand das selbst auch sehr interessant, da ich meine Facharbeit – lang ist es her – einst über Pressemanipulation im Dritten Reich geschrieben habe und zu diesem Zweck die originalen Ausgaben der „Mainfränkischen Zeitung“ im Stadtarchiv gewälzt habe. Ob Original oder Nachdruck, eine solche Zeitung fasziniert einfach, weil man vergleichen kann und die Propaganda aus heutiger Sicht sehr schnell erkennt. Da bleibt wirklich etwas hängen. Auch die Plakate sind natürlich tolles Anschauungsmaterial, Problem ist eben, dass man sowohl den „Völkischen Beobachter“ (die NSDAP-Zeitung) als auch das Plakat, auf dem der Reichstagsbrand ebenfalls instrumentalisiert wurde, einfach herausnehmen kann. Dass es zu viele dumme Menschen gibt, für die das nicht historische Zeitungszeugen sind, ist leider Fakt, denen wird so sehr leicht Material für ihren Führer- und Nazi-Kult geliefert. Eine Meinung. Ob man wegen des Bodessatzes unserer Gesellschaft ein solches Projekt gleich mit einer Beschlagnahmung angehen muss, möchte ich aber doch in Frage stellen.

Von den Urheberrechtsverstößen mal abgesehen, finde ich als historisch interessierter Mensch ein Projekt wie Zeitungszeugen wirklich gut. Nicht nur nationalsozialistische Zeitungen liegen bei, auch kommunistische Zeitungen zeugen von den damaligen Verhältnissen zwischen 1933 und 1945. Die Kommentierung durch Historiker fällt zwar eher knapp aus, aber allein mit der Verbreitung von Nazi-Propaganda zu argumentieren finde ich schwach, da vor allem auch im Unterricht sicher mehr Aufklärungsarbeit geleistet wird als Dumme damit Propaganda machen können.

Via Münchenblogger

Von Alex

Einst habe ich an der Universität in Würzburg studiert, jetzt bin ich Lehrer. Mein Lieblingszitat stammt aus dem grandiosen österreichischen Film Poppitz: „Dänkn däaf mass, soogn liaba neet“ – schließlich sind zumindest die Gedanken frei – wer es nicht verstanden hat: „Denken darf man es, sagen besser nicht“